in scharfer Opposition gestanden. So sollte sie zumindest Verständnis für Andersdenkende aufbringen, auch schon aus utilitaristischen Grün­den alles vermeiden, um Märtyrer zu machen, deren Anhänger und Angehörige einstmals Gleiches mit Gleichem vergelten, das heißt, die jetzt Regierenden dermaleinst demselben grausamen Los ausliefern könnten. Je stärker ein Staat ist und sich fühlt, desto leichter kann er Kritik und Opposition ertragen; je schwächer er ist, und je mehr ihm das Gewissen schlägt angesichts der Kritik, die ihm vorgehalten wird, desto rücksichtsloser geht er gegen die ,, Meckerer" und Andersdenkenden vor er macht sie nicht nur mundtot, sondern merzt sie einfach aus. In vielen Gesprächen, die ich mit dem Münchener Philosophieprofes­sor Kurt Huber in seiner Todeszelle führte, wurde mir dies immer klarer. So stark sich auch der Hitlerstaat aufspielte und gebärdete, so ängstlich war er bemüht, auch schon den leisesten Zweifel an der Rich­tigkeit seiner Politik im Keime, ja im Blute zu ersticken. Er konnte überhaupt kein Gegenüber vertragen und ertragen. Es gab nur ein Bie­gen oder ein Brechen. Schon jegliche Orientierungsmöglichkeit für eine Urteilsbildung wurde unterbunden. Das ganze Volk sollte durch die Regierungspropaganda hypnotisiert werden. Und gar im Kriege wur­den rings um das deutsche Volk unüberschreitbare Mauern gezogen, selbst das Hören neutraler Sender galt als Selbstverstümmelung und ganze deutsche darum für todeswürdig. Goebbels sperrte gleichsam das Volk in ein großes Kinotheater ein und ließ vor ihm den einzig zugelas­senen Propagandafilm ablaufen, ein Nebenhinausblicken gab es nicht bzw. war lebensgefährlich. Nur das galt und war richtig, was der Goeb­bel'sche Filmstreifen und Fritsche's Lautsprecher darboten, alles andere ward verpönt. Ein umfangreiches, bis ins letzte Bauerndorf reichendes Spitzelsystem belauschte die geheimsten Meinungsäußerungen und denunzierte selbst die harmlosesten Bemerkungen. Ein Sykophanten­tum allumfassendster Art entstand. In dieser Zeit unterstrich ich mit roter Tinte die Worte aus dem 7. Kapitel des Propheten Micha: ,, Sie lauern alle aufs Blut; ein jeglicher jagt den anderen, daß er ihn ver­derbe; und meinen, sie tun wohl daran, wenn sie Böses tun. Was der Fürst will, das spricht der Richter, daß er ihm wieder einen Dienst tun soll. Die Gewaltigen raten nach ihrem Mutwillen, Schaden zu tun, und drehen's wie sie wollen... Aber wenn der Tag deiner Prediger kom­men wird, wenn du heimgesucht sollst werden, da werden sie dann nicht wissen, wo aus. Niemand glaube seinem Nächsten, niemand verlasse

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