Vorwort des Verfassers

Von vielen Seiten, gerade auch von Persönlichkeiten, die selbst hinter Gefängnismauern gelitten haben, aufgefordert, ja gedrängt, habe ich mich entschlossen, einen Teil meiner Stadelheimer Erlebnisse und Erinnerungen zu veröffentlichen und die Hemmungen zu überwinden, die mich auch jetzt noch erfüllen. Sie bestehen vor allem darin, daß so viel Persönliches, auch meine eigene Person, angerührt und angeführt werden muß, um ein Bild von dem zu geben, was sich äußerlich und innerlich in diesen schweren Jahren und entsetzlichen Situationen ereig­net hat. Ferner sollte keinesfalls das Berichtete auch nur den Anschein des Sensationellen erhalten, denn Seelenkämpfe und Seelsorge, Todes­überwindung und innere Neugeburt vertragen keine Sensationen, son­dern werden, wachsen und wollen wirken in der Stille, Einsamkeit und Verborgenheit, in der zeugenlosen Zwiesprache von Mensch zu Mensch oder wie bei Jakob am Flusse Jabbok- im einsamen Ringen zwi­schen Mensch und Gott. Daß freilich das Resultat solcher Kämpfe und Geburtswehen sensationell d. h. überraschend und Aufsehen erregend erscheint, ist die notwendige Folge von Geschehnissen, die sich nicht allein in der Sphäre des Irdisch- Menschlichen ereignen, in die vielmehr eine höhere Macht und Welt mithereinspielen und uns vor rätselhafte Vorgänge stellen.

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Wie ganz anders waren demgegenüber die Verhältnisse vor nun 40 Jahren! Das zeigt uns in staunenswerter Weise das ,, Stadelheimer Tagebuch" von Ludwig Thoma , in dem der große Humorist seinen un­freiwilligen Aufenthalt im Jahre 1906 in jener Zelle schildert, die später auch Hitler beherbergte. Thoma hat damals geradezu sommer­frischenmäßig leben können und unter anderem seine Komödie ,, Moral" konzipiert. Andererseits aber konnte er sich ganz und gar nicht in die seelsorgerlichen Vorgänge, die sich in der Armensünderzelle abspielen, hineinversetzen, so daß er sie völlig schief beurteilte begreiflicher­weise, denn darüber können sich nur Augen- und Ohrenzeugen ein rich­tiges Urteil bilden, am allerbesten die Todeskandidaten selbst. Ihnen sei deshalb im Folgenden darüber das Wort erteilt.

München , Martin- Luther- Straße 4

Pfingstfest 1946

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Karl Alt .

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