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Liebe Mutter, ich bitte Dich von ganzem Herzen, bleibe stark! Sieh an, wenn ich im Felde stehen würde, könnte ich auch schon lang tot sein. Liebe Mutter, schließlich müssen wir ja alle einmal sterben, und die Hauptsache ist dabei dann doch, daß wir uns vorher mit unserem Gott ausgesöhnt haben. In diesem Sinne, meine liebe Mutter, möchte ich Dir nun ein letztes, Lebe wohl!' zurufen. Bleibe stark und harre aus, denn Du sollst doch noch einen recht frohen Lebensabend genießen. Also, noch einmal, meine liebe Mutter:, Sei fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, halte an am Gebet!' Nun zum letzten Mal, lebe wohl, meine liebe, gute Mutter! Eben kommt Pfarrer... und hilft mir in der letzten Nacht und auch bei meinem letzten Gang..
Vater und Sohn finden sich in der Todeszelle
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Mit einer Art Idylle schließe dieses traurige Kapitel, das leicht erweitert werden könnte. Der Vater war ein älterer Bahnbediensteter. Jahrzehntelang hatte er treu und redlich seine Pflicht getan und einwandfrei seinen schlichten Dienst versehen, sodaẞ er sogar befördert wurde zu einem Vertrauensposten. Und das wurde sein Verhängnis. Er bekam die Aufsicht über die Leute, die Feldpostsendungen umzuladen hatten. Aber als die Raucherkarten immer magerer wurden und für seine Tabakleidenschaft gar nicht mehr ausreichten, da vergriff sich der Herr Aufsichtshabende an den verlockenden Päckchen zuerst an einigen wenigen, dann an immer mehreren, bis er entdeckt wurde. Seine Tat war umso gravierender als er ja selbst immer wieder darauf hinzuweisen hatte, welch strenge Strafe auf Feldpostraub stand. Und nun kam er als Todeskandidat nach Stadelheim und zog- da der Raum immer enger wurde zu zwei jüngeren Leidensgenossen in eine Todeszelle. Kaum hatte sich der eine von diesen vorgestellt, da rief der Neuhinzukommende überrascht und staunend aus: ,, Du bist ja mein Sohn, den ich im Leben noch nie gesehen habe!" Es stellte sich heraus, daß vor über zwanzig Jahren ein Liebesverhältnis mit dessen Mutter bestand, das nicht ohne Folgen blieb. Die beiden kamen dann auseinander, jedes von ihnen verheiratete sich anderwärts und nun trafen sich plötzlich Vater und Sohn an diesem schaurigen Ort. Und doch war es ein großer Trost für die beiden. Sie aßen aus einer Schüssel und kamen sich immer näher, sie trösteten sich gegenseitig, sie hofften miteinander auf Begnadigung und sie sind dann beide ,, zu


