angriffe immer zahlreicher wurden und die Gefahr größer, daß die Todeskandidaten, den sicheren Tod vor Augen, alles versuchen könnten, sich zu befreien und zu entfliehen, genehmigte auf vielfache Eingaben die oberste Justizbehörde endlich, daß die Vollstreckungen in den Nach- mittags- bzw. Abendstunden vollzogen werden durften und die Eröff- nung nur 5 bis 7 Stunden vorher geschah— eine wohltätige Abkür- zung der qualvollen Wartezeit. Der Geistliche teilte diese Stunden mit dem Todeskandidaten, der ohne Fesseln am Tisch oder auf seinem Bett- rand saß, nachdem er die Abschiedsbriefe verfaßt hatte, während die Wächter sich vor der aufgeschlossenen Zellentür oder in der Zelle selbst aufhielten. Gebete, Schriftbetrachtungen und oft sehr tiefgehende Ge- spräche wechselten ab. Oft wurden ganze Lebensromane berichtet, die Einblick gewährten in erschütternde Schuld und Schicksale! In der letz- ten Stunde wurden dann die Beichte und das Altarsakrament abgehal- ten, und manch kraft- und trostspendendes Sterbe- und Auferstehungs- lied aus dem unergründlichen Liederschatz des Gesangbuches gemein- sam gesprochen. Dann kamen die Wachtmänner; die Schuhe wurden mit Holzpantoffeln, das Gefangenenkleid mit dem Privatanzug vertauscht und mit gefesselten Händen wurde der Todeskandidat zur Richtstätte hinausgeführt, begleitet von dem laut betenden Geistlichen. Dort wurde nochmals vor einem Tisch mit Kruzifix und Kerzen das Urteil vom Staatsanwalt verlesen, vom Geistlichen ein kurzes Gebet gesprochen und in weniger als einer halben Minute fiel das Fallbeil mit dumpfem Schlag herab... Ob es aus Gründen des rascheren Verlaufes oder aus Gegnerschaft gegen die„religiösen Zeremonien“ geschah, als im letzten Kriegsjahr auch das letzte Gebet des Geistlichen wegfiel, so daß dieser nur noch bis zur Schwelle des Hinrichtungsraumes begleiten durfte? Bei der immer größer werdenden Zahl der an einem Tag vor- genommenen Vollstreckungen reichte natürlich die Armensünderzelle nicht mehr aus. In ihr konnten nur einige Todeskandidaten untergebracht werden, so daß auch die Nachbarzellen mit herangezogen werden muß- ten und der Geistliche von einer zur anderen schritt, um die Morituri zu betreuen. Oft teilten sich mehrere Geistliche gleichzeitig in diesen nervenaufreibenden Dienst. Aber so schwer dieser Dienst auch war, er war doch zugleich erhebend, denn wenn irgendwo, so bewies sich hier die Kraft der welt- und todüberwindenden Religion des Christentums, in deren Mittelpunkt der zum Verbrechertod verurteilte und am Kreuzesgal- gen sterbende Weltheiland steht, der noch dem Schächer zu seiner Rechten
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