Es fand ein hochnotpeinliches Verhör vor dem Gefängnisdirektor und einem Urkundenbeamten statt, das eine unangenehme Situation hervorrief. Übrigens ist der offensichtlich unzurechnungsfähige Todes- kandidat bald darauf hingerichtet worden wie so mancher, der für seine Tat schlechterdings nicht verantwortlich zu machen war.

Auch anderweitig war der Seelsorger in gefährlicher Lage. Weilte er doch immer allein in den Zellen, in denen sich zumeist mehrere Todeskandidaten, darunter auch gewalttätige, befanden, die ihn leicht überwältigen und der Schlüssel berauben konnten, um die ersehnte Freiheit zu gewinnen. Sie riskierten ja nichts, denn ihr Leben war ver-

wirkt und konnte nur noch durch eine gelungene Flucht gerettet wer--

den, was wiederholt geschah, besonders nach Fliegerangriffen, weshalb schließlich angeordnet wurde, die Todeskandidaten bei Fliegeralarm zu fesseln. Dies scheiterte jedoch an der großen Zahl derselben, war doch ihre Zahl meist 80 bis 100 in Stadelheim . So gestand ein kaum 20jäh- riger Bursche, der zusammen mit einem Altersgenossen mehr als siebzig nachweisbare Verdunkelungseinbrüche verübt hatte, dem Weachtmeister noch in seiner letzten Nacht, daß er seinem Komplizen auf einem Zettel (sogen. Kassiber) mitgeteilt habe, er wolle den durch seinen kriegs- verletzten Arm an einer Abwehr behinderten evangelischen Pfarrer bei seinem nächsten Zellenbesuch mit dem Wasserkrug niederschlagen, ihn des Schlüsselbundes berauben und dann den Genossen befreien und mit ihm flüchten. Dieser Plan kam nur dadurch nicht zur Ausführung, weil während des Besuches des Geistlichenzufällig ein Aufseher auf dem Gang vor der Zelle vorbeiging. Dabei betonte der junge Gangster ausdrücklich, daß er den Geistlichen, dem er überdies von Herzen zu- getan und dankbar sei, nicht etwa habe töten, sondern nur betäuben wollen, um der Schlüssel habhaft zu werden. Als Zeichen seiner Zunei- gung und Anhänglichkeit hat derselbe Bursche in der letzten Viertel- minute seines Lebens, als er bereits das Sterbegebet gesprochen und die Augen verbunden erhalten hatte, noch dem Geistlichen laut zugerufen:

Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer! sprachs und schon sauste das!

Fallbeil herab und sein Haupt fiel in den Korb. Er wollte wohl damit wieder gut machen, was er durch seinen heimtückischen Plan an dem Seelsorger gefehlt hatte.

Überhaupt war es rührend, oft herzbewegend, mit welcher Innig- keit sich die Todeskandidaten vom Geistlichen und auch von den Auf- sichtsbeamten und-beamtinnen verabschiedeten und bei ihnen bedank-

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