2. Kapitel

Die Zustände in Stadelheim

Wie auf allen Lebensgebieten so hat das Dritte Reich auch, ja ganz besonders im Bereiche der Justiz total umstürzlerisch gewirkt. Wie der Strafzweck, so wurde auch der Strafvollzug völlig und zwar verheerend umgeformt. Beide sanken auf mittelalterliche, geradezu barbarische Stufen zurück. Als Zweck der Strafe galt nicht mehr die Besserung und Erziehung des Straffälligen, sondern Vergeltung, Abschreckung und Unschädlichmachung. Folterung und grausamste Leibes- und Le­bensstrafen wurden eingeführt, wie sie in kultivierten Ländern und Zeiten als unmöglich und unglaublich erscheinen. So veränderte sich seit der nationalsozialistischen Machtergreifung auch mehr und mehr der Charakter von Stadelheim . Zuvor war es ein Strafvollstrek­kungsgefängnis, das verurteilte Männer und Frauen, die höchstens drei Monate abzubüßen hatten, beherbergte, zumeist notorische Bettler, Arbeitsscheue, Lohndirnen und andere Asoziale, die sich geringfügige kriminelle Vergehen, etwa kleinere Diebstähle und Betrügereien, hat­ten zuschulden kommen lassen. Nun wurde es in ein Strafgefängnis* umgewandelt für schwere und schwerste kriminelle Delikte, vor allem aber auch für politische Häftlinge, die entweder schon verurteilt waren oder aber oft viele Monate lang- ihrer Verhandlung und Ver­urteilung entgegensahen. Schließlich kamen auch wie bereits er­wähnt sämtliche ,, Todeskandidaten" aus dem ganzen rechtsrheini­schen Bayern und den angrenzenden österreichischen Gebieten, viele auch aus Polen und der annektierten Tschechoslowakei hierher, um hier eher oder später die Todesstrafe zu erleiden. Gar bald reichten die bis­herigen Räume nicht mehr aus, so daß ,, Filialen" in Barackenlagern errichtet und angegliedert werden mußten, weil schon in die ursprüng­lichen Einzelzellen 2, 3 und mehr Häftlinge hineingepfercht waren. Selbst der evangelische Betsaal war in einen Haftraum umgewandelt worden, in dem nachts über 70 Frauen in zweistöckigen Bettstellen Unterkunft fanden, während sie tagsüber in einem Rüstungsbetrieb schaffen mußten. Eine besondere sadistische Methode des national­sozialistischen Strafvollzuges bestand darin, daß grundsätzlich die poli­

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* Ausdrücklich sei dabei festgestellt, daß Stadelheim nach wie vor Straf­gefängnis blieb und nie KZ wurde; Strafgefängnisse hatten, wie ja die folgende Schilderung zeigt, mit KZ- Methoden nichts zu tun.

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