wundern, daß diese niederschmetternde Nachricht durch die Zensur gegangen war, ohne daß gestrichen wurde.

Noch einmal las Kitty völlig verstört die wenigen Zeilen, dann entglitt die Karte ihren Händen. Sie fühlte noch, wie sie zusammensank. Ihre Stirn bedeckte sich mit kaltem Schweiß. Sie fiel zu Boden.

Einige, die über den Hof gingen, frugen die Ohn­mächtige auf ihr Lager. Sie liefen zum Hausältesten und meldeten den Vorfall, und dieser veranlaßte, den Arzt zu holen.

Einige Mitleidige flößten Kitty eine starke Flüssigkeit ein.

Kurz darauf erschien der Doktor. Er untersuchte die Kranke und machte ein bedenkliches Gesicht. Sie er­holte sich aber gegen Abend wieder. Lange lag sie mit geschlossenen Augen und antwortete kaum auf die Fragen ihrer Nachbarin, ob sie etwas zu trinken oder zu essen wünsche.

Kitty fühlte sich unfertig und nicht gerüstet, um vor Gott treten zu dürfen. Sie war sich vieler kleiner und großer Sünden bewußt, die nach ihrer Ansicht noch gesühnt werden mußten. Auch mit ihren Leistungen war sie nicht zufrieden. Alles erschien ihr wie ein Anfang. Überhaupt, hatte sie sich denn je Zeit genommen, sich innig mit Gott auseinanderzusetzen? Die letzten Monate waren keine Gebete mehr über ihre Lippen gekommen, auch in die Kirche oder auf den Bodenraum, wo die Gottesdienste des Dr. Goldner abgehalten wurden, war sie nicht mehr gegangen. Die Verzweiflung hatte zu sehr die Oberhand gewonnen.

Wje glücklich sind die Katholiken daran, die ihre Beichten ablegen können und dadurch ihre Seele ent­lasten dürfen. Aber Kitty tröstete sich damit, daß Gott die Menschen nicht nach ihrem Werte beurteilen könne, sondern aus seiner Gnade heraus, denn würde er sein Urteil von dem Wert des einzelnen ableiten, so käme wohl niemand in den Himmel, und keiner würde vor seinem göttlichen Angesicht bestehen können. Er, der

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