das Maß des Glückes zum zweitenmal gefüllt sehen?!" Kitty hatte den Arm um die Schulter von Frau Vagas gelegt und sagte mit leiser Stimme: Ich werde jeden Tag herkommen und Sie pflegen, dann werden Sie mit Gottes Hilfe gesund werden.

,, Mein Kind, womit habe ich soviel Liebe verdient? Du machst mich wahrhaft glücklich. Die paar Wohltaten, die ich irgendwann einmal geleistet, sind nicht zu rechnen. Nur was wirklich Opfer ist in unserem Leben, kann voll gewertet werden. Der Groschen des armen Mannes, den er verschenkt, wiegt mehr als die Mark des reichen.

Glaube mir, meine Tochter, unedel habe ich nie ge­handelt. Aber heute wünschte ich sehnlichst, mehr Gutes getan zu haben. Viel zu wenig habe ich an meine Mit­menschen gedacht, immer nur selbstsüchtig mir und meinem Peter gelebt. Das quält mich heute sehr."

Kitty richtete sich empor und antwortete mit leiser, gepreẞter Stimme: ,, Warum quälen Sie sich so, liebe Frau Vagas, Sie können ja alles Gute noch nachholen, wenn wir erst wieder in der Heimat sind. Bis dahin war­ten Sie."

,, Kind, glaubst du noch an eine Ruckkehr?"

Ein Kältegefühl durchdrang Kittys Brust, dann sagte sie hastig: ,, Wir müssen daran glauben, wenn wir nicht vorzeitig zugrunde gehen wollen." Kitty drückte Frau Vagas die Hand und wandte sich zum Gehen. Frau Vagas lehnte sich mit geschlossenen Augen in die Kis­sen zurück, während die junge Frau mit leisen Schritten zum Tor des Gartens schritt und es hinter sich schloß.

Die Sonne war schon im Untergehen begriffen, als Kitty den nächsten Tag in der Seestraße eintraf. Ein heiliger Wille beseelle sie, trotz des anstrengenden Dienstes und des schweren Lebenskampfes auch noch Peters Mutter zu stützen und mit Gottes Hilfe zu er­halten.

Aber sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, das heißt ohne die Hausschwester. Kitty hatte in ihrer Arglosigkeit nicht gedacht, daß man ihrer Betreuung

236