Dann betrat Dr. Goldner ein provisorisches Podium, dahinter erhob sich ein überlebensgroßes Bild des gekreuzigten Heilandes.
Dr. Goldner war ein kleiner Mann mit einem wunderbar feinen vergeistigten Kopf, mit leuchtenden, klaren Augen und einem gläubig sicheren Blick. Die brausenden Klänge der Orgel wurden ersetzt durch einen Chor schöner Stimmen. Alles war Ersatz, aber es lag eine tiefe Frömmigkeit auf allen Gesichtern, die ergreifend zu Herzen ging.
Eine Wahrhaftigkeit und Demut tat sich in den Worten der Predigt kund. Sie ließ Zeit und Ort vergessen.
Feierlicher Gesang fönte durch den Bodenraum, der jetzt eine geheiligte Stätte war, obgleich jedes Zeremoniell fehlte.
Sie waren alle mit dürstendem Herzen gekommen, das Wort Gottes zu hören in der großen Not ihres Lebens, und wie eine schwere Last warfen sie die weltlichen Gedanken beiseite. Tief im Grunde ihrer Herzen mahnte zwar der Gram über die schwerste Prüfung ihres Lebens, aber die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage machte sich nur leise bemerkbar und wurde durch die Innigkeit und Zuversicht der Predigt hinweggenommen. Neuer Mut und Vertrauen erwachten. Die Ergriffenheit dieser Art von Frömmigkeit der gefangenen und entrechteten Menschen wirkte erschütternd.
Kitty und Peter standen zusammen, und ihre Hände ruhten ineinander.
Die Menschen hier waren in dem härtesten Kampf ihres Lebens eingesetzt und sollten doch ihren Glauben an Gottes Allmacht in festem Vertrauen bewahren. Sie mußten alle Zweifel niederkämpfen.
Peter verspürte eine unsägliche Freude, in der Nähe Kittys zu sein, und er hatte das Gefühl, daß er ihr immer näher und näher käme. Jedes Wort der Predigt empfand er als ihrem Wesen zugehörig. Manchmal wandte er ein wenig den Kopf und betrachtete Kittys feine Züge. Ihr Gesicht zeigte, von der Seite gesehen, eine seltsame
190


