war eine Schwäche zurückgeblieben. Wenn sie genug zu essen hätte, wäre sie gesund geworden.
Sie versuchte auf den Füßen zu bleiben und zwang sich zur Arbeit mit Aufwendung aller ihrer Kräfte. So leistete sie wirklich ihr Pensum.
Doch nicht zum Gefallen und zur Zufriedenheit des ersten Ingenieurs Ferner, dem ein Teil der Großbetriebe in der Magdeburger Kaserne zur Aufsicht unterstand. Er mochte die ,, Neue", wie er Kitty nannte, nicht leiden. Ihr ausgesprochenes Deutschtum in Sprache und Wesen war ihm ein Dorn im Auge, denn er war ein Tscheche.
Der lange Mensch mit dem viel zu kleinen Kopf, auf dem schwarzes, buschiges Haar wuchs, mit dem lauten Befehlston seiner Stimme und dem schleichenden Schritt eines Panthers, war eigentlich niemandem sympathisch. Nur in seinen Freistunden, wenn er im Kreise seiner Freunde und Bekannten die liebenswürdige Seite seines Wesens herauskehrte, erkannte man Qualitäten eines besseren Menschentums.
Er wirkte in der Freizeitgestaltung als Schauspieler mit und hatte im Faust die Rolle des Mephisto über
nommen.
Er war ein Sprachkünstler ersten Ranges, das konnte man ihm nicht absprechen und in seiner Heimatstadt Prag als erste Kraft geschätzt.
Wie aus dem Boden gewachsen stand er mitunter plötzlich in der Färberei und sah mit gerunzelten Brauen umher, ob nicht etwas zu rügen sei. Während die anderen Frauen ihn sofort bemerkten und sich übereifrig mit der vor ihnen liegenden Arbeit zu schaffen machten, bemerkte ihn Kitty erst, wenn er direkt vor ihr stand und mit bösem Blick dem ruhigen Spiel ihrer Hände zusah.
Sie war eben damit beschäftigt, Wollsträhnen zum Färben auf einen Stab zu schieben und ließ sich dabei Zeit, die Fäden gleichmäßig zu ordnen, als der Ingenieur ihr die Wolle samt dem Stock aus der Hand riẞ, und sie in einem Anfall von Raserei anschrie:
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