Tag zu Tag fühle ich meine Kräfte schwinden. Sehen Sie mal die Hände und die Beine an."

Kitty sah in das gedunsene Gesicht der klagenden Frau. Sie hatte bereits Wasser in den Beinen und durfte eigentlich nicht aufstehen. In der Nacht saß sie aufrecht im Bett vor Atemnot , und Kitty mußte ihr häufig ihre Medizin reichen. ,, Hungerödem ", dachte sie, aber laut sagte sie ruhig: ,, Ach, das wird schon wieder besser, Frau Heinemann."

Ja, sie wußte es, wie einer hier nach dem andern krank wurde und starb. Die Erklärung dafür war so leicht. Wer konnte denn auch mit so wenig Nahrung be­stehen. An Tschechen und auch Österreicher liefen viele Pakete ein, mitunter fünf bis sechs Pakete an einen Adressaten die Woche. Da waren alle möglichen Le­bensmittel drin, immer verschiedene. Besonders her­vorragend beliefert wurden auch die Dänen, die Schwe­ den und die Belgier. Häufig genug hat Kitty beobachten können, daß sie Schmalz, Brot, Suppenwürfel und Ha­ferflocken erhielten. Unausdenkbare Kostbarkeiten! Aber die Reichsdeutschen! Kitty z. B. bekam so selfen ein Paket, daß sie meinte, man hätte sie in der Heimat völlig vergessen und zählte sie schon zu den Toten.

Eines aber war allen Menschen gemein: nachdem sie Pakete erhalten haben, sich gründlich sattzuessen. So kam es denn, daß unvernünftige Menschen nach Empfang solcher Pakete den Inhalt wie hungrige Wölfe auf einmal verschlangen, um dann hinterher todkrank im Bett zu liegen.

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Auf der Ambulanz waren wie immer die Wartezim­mer überfüllt. Die Sprechstunden waren für Männer und Frauen verschieden, daher saßen in diesem Raum und zu dieser Zeit nur Frauen, die sich von den Blockärzten behandeln lassen wollten. Die Ärzte in Theresienstadt leisteten überragendes an Fleiß und Tüchtigkeit, ob­gleich sie für die viele Arbeit, die sie tagtäglich in unermüdlicher Geduld an den vielen körperlich und

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