Sie hatte alle ihre Koffer eingebüßt und damit den letzten, wertvollen Besitz ihres Hab und Gutes. Auch alle Lebensmittel, die sich darin befanden.
Nun lief das Leben tagaus tagein seinen gleichen Gang.
In der Nacht wurden die Störungen durch die kranken Frauen immer häufiger. Sie riefen Schwester Kitty zu ihrer Hilfe und dachten, sie könne Unmögliches leisten. Der Zustand wurde unerträglich. Da bat sie Frau Magnus, an die Zimmerbelegschaft eine Anrede zu halten, daß sie nachts nicht gestört werden dürfe, weil sie ja am Tage schweren Dienst hätte und auch nur ein schwacher Mensch sei. Das half.
Sonn- und Festtage gab es nicht. Die Unterbrechung der Arbeit bestand nur in einer kurzen Freistunde, die sich ein jeder wählen durfte. Sonntags hatte sich Kitty eine Stunde vormittags von 9 bis 10 für den evangelischen Gottesdienst reserviert. Es war nämlich den getauffen Juden verboten, Gottesdienste abzuhalten, wenigstens war es anfänglich so der Fall. Der Seelsorger der Gemeinde, ein Dr. Goldner, hatte große Mühe gehabt, einen Platz für den Gottesdienst ausfindig zu machen. Endlich fand er durch seine Geschicklichkeit einen Boden, der zwar verwahrlost und zugig, aller Unbill der Witterung preisgegeben war, aber eine Unterkunft gewährte.
Die Gefangenen waren froh, das Wort Gottes zu hören, denn sie dürsteten nach Trost in ihrer verzweifelten Lage und nach Halt für ihr unglückliches, von dauerndem Wechsel bedrohtes Dasein.
Bei Larson stellten sich leider nach Ablauf von einigen Monaten wieder schwere typhusähnliche Erkrankungserscheinungen ein, und er mußte dauernd auf seinem Lager bleiben. Auch die feste Nahrung mußte durch leichtere Schleimsuppen ersetzt werden. Dieselbe Fürsorge wie früher übte nun Kitty für den Erkrankten aus, aber dieses Mal gelang es ihr nicht, ihn in ein Krankenhaus überführen zu lassen. Alle Krankenhäuser
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