Die Sonne schien und sandte ihre goldenen Strahlen über den Bergkegel und fiel in breiten Streifen auf mich hernieder, die Vögel sangen, und irgendwo in der Nähe plätscherte leise eine Quelle. Die Natur um mich herum hatte kein anderes Gesicht bekommen, aber bei mir inwendig war alles ein Chaos.

Dort in der Waldesstille in dem verlorenen Bergwin­kel, auf dem eine Tannenlichtung lag, hatte ich mich nun in meiner höchsten Not verborgen und erwartete meinen Mann. Aber alles Warten war vergeblich. Tage vergingen. Ich mußte mich mit meinem Kinde notdürftig von den Früchten ernähren, und ich hatte schon die Absicht, wieder umzukehren und mein Haus aufzusu~ chen, aber eine innere Stimme hielt mich davon zurück. Endlich, nach ungefähr vier Tagen, kamen heimlich Nachbarn herauf in den Wald, fanden mich, die ich fast verhungert war, und brachten mir Lebensmittel und Ausweispapiere. Um meine Spur zu verdecken, sollte ich diese benutzen und nach Hamburg fliehen.

Sie sagten mir, daß mein Mann erschlagen sei, gleich nachdem ich mit dem Kinde fortgewesen wäre. Alles Hab und Gut von uns sei zertrümmert und verbrannt worden. Sie ließen mir gar keine Zeit zum Nachden­ken, auch keine Erholung von der maẞlosen Erschütte­rung über diese furchtbare Nachricht.

In Hamburg angelangt, konnte niemand mich ohne Lebensmittelkarten bei sich aufnehmen, daher mußte ich zur jüdischen Gemeinde gehen und mich ihr anver­trauen. Diese steckte mich unverzüglich in einen Trans­port, und jetzt bin ich hier."

Frau Juda hatte ihre Erzählung beendet.

,, Und was ist aus ihrem Kinde geworden?", fragte Frau Lupiskaja.

,, Mein Kind", stammelte Frau Juda, ich werde es wohl nie wiedersehen. Es ist mir gleich abgenommen worden, als ich nach Hamburg kam."

Frau Juda hatte ihr Gesicht verhüllt.

Keiner mochte die Trauer dieser armen Frau stören.

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