Die Geheime Staatspolizei hatte mitgeteilt, daß wir von Hamburg fortgeschafft würden. In dem Befehl stand auch weiter, was mitzunehmen wäre: Ein Koffer oder Rucksack, ein Paar derbe Arbeitsstiefel, zwei Paar Socken, zwei Hemden, zwei Unterschlüpfhosen, ein Arbeitsanzug, ein Pullover und zwei Wolldecken. Dazu an Bettwäsche zwei Garnituren und Geschirr: ein ER- napf, ein Trinkbecher und ein Eßlöffel. Mehr als ein Gepäckstück pro Person würde zurückgewiesen Wwel- den. Die detaillierte Anordnung wurde kurz vor der Ab- reise zurückgezogen, und statt dessen durfte jeder Eva- kuierte soviel an Gepäck mitnehmen, wie er wollte. Ver- pflegung für die Bahnfahrt würde vom Jüdischen Reli- gionsverband beschafft werden.
Nach Lesen dieser Zeilen standen wir alle uns wort- los gegenüber. Ich ging darauf hinaus, und später er- fuhr ich durch Alma folgendes: Die Nacht war herein- gebrochen. Am Horizont leuchtete die Mondsichel. Sterne funkelten dazwischen——. Heilige Ruhe.
Anna und Alma standen am Fenster und sahen hin- aus.
‚Jetzt sterben‘, flüsterte Anna, ‚du weißt, ich habe ohnedies nicht mehr lange zu leben. Aber du, Alma, sollst noch glücklich werden!‘ ‚Ich?‘, lächelte Alma bitter zurück, ‚wenn du nicht mehr lebst, nein, ich will mit dir gehen!‘
Anna warf die Arme um den Hals der Schwester und kiißte sie innig.
‚Ich habe alles Veronal aus dem Krankenhaus aufge- spart und mir noch vieles dazu besorgt. 24 Stück, zwei volle Rollen habe ich.‘
‚So viel Tabletten hast du gesammelt?‘ antwortete zitternd Alma.
‚Ja, es reicht‘, sagte Anna ‚Willst du, daß wir zu Bett gehen? Oder wollen wir noch aufbleiben?‘
‚Ja‘, hauchte Anna. ‚Wenn wir den Weg in die Un- endlichkeit antreten wollen, so bitte ich dich, laß es doch heute Nacht sein. Sammeln wir unsere Gedanken
25


