DAS WIRTSHAUS ZUR VERLORENEN ZEIT
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Wirtshaus zur verlorenen Zeit verlorenen Lebensstunden meine einzig gewonnenen waren.
Nichts bedaure ich heute weniger, als daß ich die Welt zwischen dem Goldenen Horn am Bosporus und dem Golden Gate am Pazifik etwas näher kennengelernt habe. Daß sich mir des Attischen Reiches Glanz und Herrlichkeit auf dem von Mohn und Kamillen überblühten, windigen Burghügel der Akropolis über Athen zwischen den rosigen Marmortrümmern gesunkener Tempel erschlossen hat und die politische Weisheit des Eng lischen Weltreiches an der Nil - Barrage über den Stromschnellen von Assuan . Daß es mir vergönnt war, das Ewige Rom vom Pincio in Frühlingsfarben abendlich verglühen zu sehen, am Ufer eines Plauderstromes geputzt stillstehender Equipagen, und vom Florentiner ,, Viale dei Colli", der schönsten Hügelstraße der Welt, die braungoldene Schönheit der einzigen Stadt mit einem einzigen Blick zu umfassen. Daß ich im Pariser Luxembourg - Garten spazierenging, wo französische Kinder, kleine Herren und Damen, zu frühzeitiger Erwachsenheit erzogen, um den„ Denker" von Rodin Fangen spielen. Daß ich an einem Sommernachmittag im Londoner Regentpark eine nach Gras und Bäumen duftende Freiluftaufführung des Shakespeareschen ,, Tempest" genoß und im griechischen Theater in Syrakus eine um zweitausend Jahre verspätete Vorstellung der Euripidëischen ,, Iphigenie", bei der einem die vom Ionischen Meer herüberwehende Brise jeden einzelnen Vers persönlich überbrachte. Daß ich den schwarzen Basaltfelsen von Edinburg mit der Zackenkrone seines normannischen Schlosses und den ältesten Hundefriedhof der Welt in Gedanken halten kann gegen die Caramanli- Burg über Tripolis und das Grüne Gewölbe in Dresden gegen die Grüne Moschee in Brussa , Klein asien , wo der dort bestattete Sultan seit tausend Jahren das Rasenstück über seinem Grab durch eine Lücke in der Kuppel genuẞsüchtig anfeuchten ließ. Daß ich im Tal der Könige bei
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