DAS ANDERE AMERIKA

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große Sehenswürdigkeit von Concord, die man sich nicht ent­gehen lassen darf, wenn man von Boston herüberkommt; denn hier vor allem ist man in Weimar . Wobei man lächelnd dar­über hinweggehen darf, daß Emerson, der Goethe dieses Weimar , bei aller Goethe- Ähnlichkeit, oder vielleicht gerade darum, in einem seiner großen Essays über Goethe eine heiter verkehrte Ansicht niedergelegt hat. Für Emerson ist Goethe ein bewundernswert großer Gelehrter, der nur bedauerlicher­weise und überflüssigerweise auch gedichtet hat. Was an das Urteil Lucien Napoleons über seinen Bruder, den großen Napoleon, erinnert: Er wäre kein großer, aber ein guter Mensch gewesen. Das Urteil der Verwandten, auch Geist­verwandten, ist oft das gefährlichste und meist das unbarm­herzigste.

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Eine gewisse Verwandtschaft mit dem Goethe- Haus am Weimarer Frauenplan weist auch das Emerson- Haus auf, obwohl es freistehend und im Raum beschränkter ist. Im Vor­garten etwas weiter zurücktretend als die Nachbarhäuser, der einzige Zug, wodurch es seine Würde betont, ist es einstöckig, mit fünf blitzblanken Puritanerfenstern im ersten Stockwerk und vier Fenstern im Erdgeschoß, weil hier die Stelle des mitt­leren die schmale Eingangstüre einnimmt. Es ist ganz licht getüncht, nur die Fensterrahmen und die beiden Schornsteine sind erdbeerrot. Im Inneren gelangt man eintretend links in die von Bücherluft und Bildungsluft durchwehte kleine Biblio­thek, wo auch die Marmorbüste Emersons steht, und nach rechts in das Eẞzimmer mit dem in der Mitte stehenden, aus zwei Kreishälften zusammengesetzten Familientisch. Die eine Hälfte, so werden wir belehrt, brachte in der amerikanischen Urväter­zeit die Braut ins Haus, die andere Hälfte des Tisches steuerte die Sippe des Bräutigams bei, und die beiden Hälften bildeten ein Ganzes, wobei die Möglichkeit einer späteren Scheidung völlig außer Betracht blieb; denn was wäre sonst aus den

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