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MIT MIR IN AMERIKA

So saß sie als Hausfrau zu Häupten des von ihr beherrschten Tisches an jenem Maiabend in New York , der für mich besonders schwer war, weil an jenem Abend unsere letzte Wiener Freundin, die uns in New York besucht hatte, in das apokalyptische Wien zurückkehrte. Ich sehe unsere liebenswürdige Gastgeberin deut­lich vor mir, in den Umriẞlinien und den Farben, dem Ausdruck und der Haltung eines schönen Frauenbildes, das sich mir unver­geßlich eingeprägt hat. Es war aber in seiner Opulenz und Sinnenfreudigkeit eher ein Bild aus dem achtzehnten Jahrhun­dert, und noch dazu französisches achtzehntes Jahrhundert, von Boucher oder Fragonard gemalt, und, wie ich mir vorstellte, in einem ovalen Rahmen, obwohl die darin sich darstellende Per­sönlichkeit so durchaus gegenwärtiges zwanzigstes Jahrhundert war. Was hat sie angehabt? wird an dieser Stelle meines Berichtes eine oder die andere weibliche Stimme fragen. Ich muß gestehen, daß ich so oberflächlich war, es mir nicht zu mer­ken. Ich weiß nur, daß das Kleid, die Haartracht und was sonst dazu gehört, den allerbesten Geschmack verrieten; es war frauen­hafter als der Stil, den sie schrieb, aber ebenso elegant.

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Auch was sie erzählte und redete war von ich könnte es kaum besser sagen ungezwungenster Gewähltheit. Sie war die Gastgeberin auch im Gespräch und teilte sich so freigebig mit, daß wir anderen nur stumm, aber immer dankbar, in er­griffener Stummheit, zuhören konnten. Aber wieder spricht es für ihre vollendete Erziehung, daß das Zuhören nicht in ,, Lau­schen" überging, obwohl sie, hinter ihrem immer halbleeren Weinglas sitzend, bis in die frühen Morgenstunden in nie er­müdendem Redefluß sich selbst zum besten gab, nur hin und wieder mit einem langgedehnten ,, a- n- d" eine Brücke über den Fluß schlagend.

Sie erzählte von ihrem Interview mit dem ,, Führer", von dem sie sprach, wie Metternich von Napoleon gesprochen haben mochte, aber ohne einen Augenblick zu vergessen, daß er kein