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bei ihrer vorgefaßten Meinung, daß der Krieg unvermeidlich wäre. Sie war der beste Anwalt Europas im amerikanischen Blätterwald. Sie hatte nicht nur, sie bewährte auch den Mut ihrer Überzeugung. Sie nannte nicht nur eine Katze eine Katze, sondern auch ein Schwein ein Schwein; sie ließ sich aus einer Naziversammlung in Madison- Garden, die unter dem Schutz der Demokratie stattfand, mit Gewalt hinausschaffen, weil sie dem Redner ins Gesicht gelacht hatte; sie kam zurück und lachte weiter. Sie war Cato und Kassandra in einem und war es dreimal in der Woche in ihrer ,, Column". Ihre männlichen Kollegen waren viel vorsichtiger und redeten immer noch von Herrn Hitler und Signor Mussolini, als ob sie Gentlemen wären. Nicht so diese Frau, von der man sagen konnte, was die Wiener vor hundert Jahren von der Erzherzogin Sophie sagten, die sie den ,, einzigen Mann bei Hofe" nannten. Das war und ist Dorothy Thompson und ist es in einem Lande, in dem die Publizisten erste Schriftsteller sind und erste Schriftsteller Publizisten. Aber Dorothy Thompson ist noch etwas mehr. Man erzählte mir von ihr, daß sie, die Tochter eines Pastors- nicht die schlechteste Schule für einen Schriftsteller, denn die Sermons sind hier alle Essays, zwanzigjährig oder noch jünger ihrem Vater anvertraute, daß sie sich entschlossen habe, Journalist, hier sagt man Newspaperman, zu werden. Es war in Maine , wo geistliche Würdenträger auf eine derartige Mitteilung einer Tochter viel-leicht am allerwenigsten gefaßt sind. Aber der Reverend war tapfer wie seine Tochter. Er seufzte, nickte, und gab ihr als Wegzehrung ein Wort mit. ,, Du wirst", soll er ihr gesagt haben, ,, in deinem künftigen Beruf nicht immer eine Lady bleiben können. Aber trachte wenigstens, immer ein Gentleman zu bleiben." Vielleicht ist es nur eine halbwahre, plutarchische Anekdote. Aber selbst dann wäre sie für Dorothy Thmopson bezeichnend. Denn sie hielt sich mehr als wörtlich an den Reisesegen ihres Vaters. Sie ist ein Gentleman der Presse und eine Lady.
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