NEW YORK UND DER NICKEL

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daß nicht auch hier das Bühnenkunstwerk aus der Zusammen­arbeit des Dichters und des Schauspielers entstünde. Aber diese Zutaten, die oft entscheidend sind, werden in einem früheren Zeitpunkt der Vorbereitung beigebracht, auf einer der unzähli­gen Proben, die den letzten Proben vorangehen, und gehen lange vor der Probeaufführung, durch Beifall gehärtet, in die für New York bestimmte Vorstellung über. Diese trying out­Vorstellungen in einer kleinen Stadt, manchmal auch in einer größeren, sind eine andere demokratische Einrichtung, deren Sinn einem erst allgemach aufgeht. Ihr Sinn ist, dem namen-­losen Durchschnittsamerikaner, also dem Volk, die letzte Ent­scheidung zu überlassen. Was nicht allen gefällt, gefällt nie­mandem, sagt der amerikanische Producer und setzt das Stück noch vor der New- Yorker Erstaufführung ab, wenn die Leute in Stockbridge oder in New Haven nicht an den dazu bestimm­ten Stellen gelacht oder sich geschneuzt haben. Und beides wird durch einen im Zuschauerraum unauffällig versteckten Be­obachter genauest festgestellt: Soviel Lacher, soviel Schneuzer. Es gehört zur Vorbereitung.

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Wie das Theater ist auch die amerikanische Zeitung die lebendigste der Welt. Ihre blickfängerischen headlines sind be­rühmt und berüchtigt mit Unrecht, wie mir scheinen will. Die headline ist das Epigramm der Zeitung, und ein gutes Epi­gramm zu machen ist eine Kunstleistung wie eine andere. Die Überschrift beispielsweise: ,, Witwe bekommt Drillinge, Gatte starb siebzigjährig vor mehreren Monaten mit dem am folgenden Tage den Bericht ergänzenden, atemraubenden Zu­satz: ,, Dritter Drilling läßt warten", zwingen selbst den gleich­gültigsten Leser, den darunter eingeschalteten Artikel zu lesen. Dies aber ist der Ehrgeiz der Zeitung, gelesen zu werden, und zwar von Millionen gleichzeitig, ob es sich nun um besagte Drillinge oder die kanadischen Fünflinge handelt oder um Hitlers Brandrede, in der er den Krieg lange vor der Kriegs­