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MIT MIR IN AMERIKA

der Romantik, die sich da in der unromantischesten aller Städte überraschend vor einem auftut.

Ganz anders wieder sehen diese aus der Ferne so zierlichen Mammutburgen aus, wenn man in Wallstreet, aus einer Untergrundstation auftauchend, geblendet unter sie tritt. Da hat man zunächst das Gefühl, sich irgendwo in den Dolomiten verirrt zu haben, so schreckhaft steil steigen die roten und gel­ben Felswände und Schroffen in den enzianblauen Winter­himmel auf. Aber es sind Dolomiten, in denen Banken friedlich hausen. Ihre Kamine, durch die ohne Unterlaß die Fahrstühle auf und nieder sausen, sind an allen Ausgängen durch beleibte Schutzmänner gesichert, die lächeln, aber einen Revolver im äquatorialen Gürtel tragen. Zwischen dem ersten und zwanzig­sten Stockwerk steigen unablässig schöne Mädchen, die im vor­läufigen Dienst der Bank auf ihren Wallstreet- Prinzen warten, lächelnd ein und ebenso lächelnd wieder aus, morgenrot ge­schminkt und lieblich frisiert, als ginge es zum Tanz. Oben angelangt, tritt man in eine sonnenhell erleuchtete, flache Höhle, in der ein paar Dutzend Herren gleichzeitig tele­phonieren und, die Muschel unterm Kinn, Bleistift in der Hand, hemdärmelig mit Kursen schäkern. Übrigens sind die Hemd­ärmel, die ein verständliches Mittel gegen die Zentralheizung sind, blendend weiß, so daß man sich wieder in die Schnee­region versetzt fühlt. Auch die durch das ganze Gebäude ge­preßte Luft, wunderbar rein und erfrischend, ist eine Art künst­lich hergestellter Gebirgsluft. ,, Air conditioned" heißt man das in New York .

Die demonstrative Höhenentwicklung des Stadtbildes hat ihre heitere, aber auch ihre ernste Seite. New York ist eine nahezu ebene Stadt, deren Plan, aus der Vogelschau gesehen, an die rastrierte Seite eines ungeheuren Hauptbuches erinnert. Die stark linierten Senkrechten, in denen die aufzusummen­den Beträge stehen, sind die zehn Avenuen, die Waagrechten