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HITLERS GAST

wachehabenden Bürschchen, die zigarettenrauchend Reihen abgingen, sofort aufgeschrieben.

unsere

Diese unwürdige Quälerei als eine Art Yoghiübung der Selbstüberwindung anzusehen, war eine Auffassung wie eine andere, und ich bekannte mich zu ihr. Welch eine wunderbare Gelegenheit, sich zu beweisen, daß der auf sich selbst gestellte Mensch, nach innen flüchtend und ins Geistige aufsteigend, nicht zu binden noch zu knebeln war, solange er die Freizügig­keit seines Denkvermögens siegreich zu behaupten vermochte. Die Disziplin des Schriftstellers kam mir dabei zustatten, mein gutes Gedächtnis zu Hilfe. Ich machte Verse für mich selbst und prägte sie mir eisern ein, da ich sie anders im Lager nicht bewahren konnte; erst zwei Monate später, als ich zum ersten­mal wieder mit einer Feder und einem Blatt Papier unbewacht zusammenkam, schrieb ich sie nieder. Verging damit die vierte Stunde meines reglos in der Sonne Stehens, so brachte die fünfte eine wieder andere Entschädigung. Der Tag ging jetzt zur Neige und die wunderbarsten Wolkenlandschaften entfal­teten sich am hohen Himmel. Goldene Eilande, rosig gerän­dert, und perlmutterfarbene Kontinente mit karminfarbenen Vorgebirgen verschwammen selig in dem sich grünlich ver­färbenden Luftmeer. Welch ein Schauspiel, das freien Blickes zu genießen nicht einmal die jetzt giftig und hungrig umher­schleichenden Wachtposten uns hindern konnten. Noch konnten sie das Angelusläuten verbieten, das der Westwind aus dem weit weg im Grün versteckten Dörfchen tröstlich zu uns her­übertrug. Es war trotz aller Teufelei und Tüchtigkeit unserer Quälmeister ein im Grunde köstlicher Augenblick, den ich da, zur Salzsäule erstarrt, auf dem öden Dachauer Appellplatz mir einverleiben durfte. Ich möchte ihn in meiner Erinnerung nicht missen; er vermehrt meinen seelischen Besitzstand.

Damit war unsere zehntägige Strafe zu Ende und es mag an der Zeit sein, den Grund anzugeben, weshalb sie verhängt wor­