DER HOLLE ZWEITER TEIL

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den, was ja keineswegs in der Absicht geschehen war, unsere Aufmerksamkeit auf einen schönen Sonnenuntergang zu kon­zentrieren.

Der Grund war ein halber Hering, und damit hatte es fol­gende Bewandtnis.

Ein mannshoher blecherner Unratbehälter stand nah der mittleren Eingangstür jeder Baracke. Dort wurde der bei Säuberung der Stuben zusammengekehrte und aufgesammelte Müll übereinandergeschüttet und von dort einmal in der Woche von den mit diesem Geschäft betrauten Gefangenen abgeholt und weggeschafft. Beim Entleeren eines hiezu verwendeten Sammelwagens nun war im Abfall ein weggeworfener halber Hering gesichtet worden, von dem sich nicht mehr genau nach­weisen ließ, ob er als Überbleibsel einer Abendmahlzeit, die aus Hering und Kartoffeln bestanden hatte, unserer oder einer der Nachbarbaracken entstammte.

Ein Verfahren wurde eingeleitet und die Belegschaft von sechs Baracken, vierundzwanzig Kameradschaften alles in allem, streng verhört. Wer hat den Hering weggeworfen? Keiner der fünfzehnhundert Gefangenen konnte sich erinnern. Wer kann angeben, wer es getan hat? Niemand gab an. Folglich mußte, nach unerbittlich strenger Nazilogik, eine Kollektivstrafe über alle sechs Baracken verhängt werden. Das geschah in aller Form in dem mit Grabesstimme verlesenen Tagesbefehl. Als Grund wurde bekanntgegeben: Wegen Verschleuderung deut­schen Volksvermögens.

Ich übergebe hiemit diesen halben Nazihering, ungenießbar wie er war, einer entfernteren Nachwelt. Er wird mich lange überleben.

Und noch eines mag im Zusammenhang mit jenem mühsamen Junisonntag nicht unerwähnt bleiben, der damit schloß, daß wir bei sinkender Nacht in unsere schon verfinsterten Baracken zurückgejagt wurden. Dabei mußten wir, kreuzlahm, wie wir

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