DER HULLE ZWEITER TEIL

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behaupteten, daß wir einander ähnlich sähen. Was augenschein­lich auch der Fall war, obwohl es sich mehr um eine Ähnlich­keit der Gesamterscheinung als der Gesichtszüge gehandelt haben dürfte. Aber im Lager, wo jeder im Typus aufgeht, ge­nügte dies.

Kaum hatten mein Kamerad und ich einander zugenickt, viel­sagend, nichtssagend, wie man in der Hölle nickt, sah ich ihn in der Türe des Reviers verschwinden. Und gleich darauf stürzte er an mir vorbei, um, das halbgefüllte Gläschen vor sich hertragend, den Rückweg zu unserer Baracke einzuschlagen.

Wenige Minuten später kam ich an die Reihe. Ich sagte mein Sprüchlein her, und der Spitalsgehilfe, ein junger Lümmel, der, obwohl Schutzhaftgefangener wie wir, sich die Naziallüren bereits völlig zu eigen gemacht hatte, wollte mir eben die er­betenen fünfzehn Tropfen Sympathol ausfolgen, als er sich plötzlich unterbrach und mir mit den Worten: ,, Du warst ja schon einmal da!" die Faust ins Gesicht hieb. Gleichzeitig löste sich einer der weiter vorne beschäftigten jungen Ärzte von seinem beim Fenster untersuchten Patienten los und stürzte mit auseinanderflatterndem weißem Kittel, unter dem die schwarze Uniform sichtbar wurde, auf mich zu, das hochgeschwungene Stethoskop in der Hand. ,, Wissen Sie, was Sie getan haben?" schrie er mich an, die Augen wie Dolchspitzen auf meine Brust gerichtet: ,, Sie haben Nationalsozialisten verurteilt!!" Und ehe ich das offenkundige Mißverständnis aufklären konnte, befand ich mich im Vorraum, wo ein anderer, eben hereinkommender Sanitäter mich auffing und fragte, was los sei? Ich berichtete das Vorgefallene, das doch nur auf einer Verwechslung meiner Person mit derjenigen des mir angeblich ähnlich sehenden Richters beruhen konnte, und verlangte entrüstet meine Tropfen. Er nahm mir gutmütig das Glas aus der Hand, ging damit hin­ein und brachte es halbgefüllt zurück. Ich übernahm es und schaute ihn fragend an; worauf er die eben stattgehabte Unter­