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HITLERS GAST
zurück." Jede kleine Entgleisung beim Hersagen dieser geheiligten Formel gab erwünschten Anlaß zu Handgreiflichkeiten. Übrigens war auch damit die Marter nicht zu Ende. Denn in der offenen Tür des Waschraums, die offen bleiben mußte, stand ein zweiter Wachtposten, der ebenso kurial angeredet sein wollte.
Ferner lernten wir sitzen, was nicht so einfach ist, wie man glauben möchte. Wir durften uns weder anlehnen, noch den uns gegenübersitzenden vier Häftlingen in die Augen blicken, noch auch, und dies war ein anderer Punkt, auf die Uhr sehen, wenn uns, möglicherweise, die Zeit zu langsam verging. Auch mußten wir geradesitzen, in Profilhaltung, die Hände auf den Knien ,,, Finger lang", wie der Posten die eingelernte Lehre weitergab. Kindisch, wird man finden, aber eine Nacht ist lang, besonders wenn man sie starr sitzend verbringt, und es gab auch ein paar Dutzend Greise, Leute über sechzig und sogar über siebzig, unter den ungefähr hundertfünfzig„ Schutzhaftgefangenen", die damals als erste österreichische Probesendung
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später wurden ein paar tausend daraus nach Dachau rollten. Nach Mitternacht trat zudem eine weitere Verschärfung ein. Wir mußten von nun an unbewegt ins Licht starren, was schläfrig macht, aber einzuschlafen war strengstens verboten. Wenn einer einnickte, wurde er sofort durch einen Kolbenstoß des Postens ins Dasein, das er abzulehnen begann, zurückgerufen. Wenn sich dann die Hände des schlaftrunkenen Häftlings halb unbewußt falten wollten, hörte er ein wahres Hohngelächter der Hölle. Sah es nicht aus, als ob der Unglückliche beten, das heißt, eine dem„ Führer" übergeordnete Instanz anrufen hätte wollen, vielleicht gar, um sich bei ihr zu beschweren? Dies war ganz und gar unzulässig. Stand doch bereits über den deutschen Altären, sieghaft erhöht, das Hakenkreuz, und der neue Gott duldete keinen anderen neben sich. Das verbotene Gebet mußte nach innen flüchten, was es auch tat.


