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HITLERS GAST
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ein einziges Fenster und, diesem gegenüber, eine Türe, die auf den Verbindungsgang hinausführte. In dieser stand ein bis an die Zähne bewaffneter uniformierter Wildling, Gewehr über dem Rücken, Revolver im Gürtel, dessen einzige Aufgabe darin bestand, uns zu malträtieren. Zu diesem Zwecke wurde er jede Stunde abgelöst. Vor Antritt seiner Beschäftigung stärkte er sich jeweils mit einem tüchtigen Schluck Bier. ,, Bier! Bier!" gröhlten durstige Kehlen bei jedem Halt draußen im Verbindungsgang. Ein Beweis mehr, daß es bayrische Soldateska nicht deutsches Militär- auf dem Kriegspfad war, in deren Hände wir gefallen waren. Auch das trauliche ,, Du", mit dem unsere Wächter uns anfuhren, sprach für diese Vermutung. Sie übten sich, während sie auf uns achthatten, ohne Unterlaß in dem, was man im katholischen Bayern , in Erinnerung an die Gegenreformation,„ Katechisieren“ nennt, ein liebliches Frage- und Antwortspiel, das sie mit Schlägen würzten. Es ging etwa so: ,, Wie heißt? Was warst früher? Wieviel hast verdient im Monat? Hast Nationalsozialisten verleumdet dafür?( Ohrfeigen.) Was? Wie?" Und so weiter die ganze Nacht, von Stunde zu Stunde, während ein ausgeruhter Frager den anderen ablöste. Ein einziger unter den sechs oder acht Rohlingen fragte und prügelte nicht. Ein schöner Jüngling mit einem deutschen Träumergesicht und ekstatisch aufgerissenen Augen, stand er, über uns hinwegsehend, in der Tür zum Verbindungsgang wie eine Statue in einer Nische des Bamberger Doms. Das gab es also auch im neuen Deutschland , diese mittelalterlichen Gottesstreiter, die, Schwärmer und Idiot in einem, Hitlers Heilsbotschaft gutgläubig und begeistert in die Welt hinauszutragen entschlossen waren, was immer sich ihnen in den Weg stellte. Was mag aus dem ergriffenen Jüngling geworden sein? Ich kann mir vorstellen, daß er sich in der Zwischenzeit in einen ebenso begeisterten, innerlich erglühten Gegenrevolutionär verwandelt hat.
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