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zu sein als jede andere. Es war im nachhinein klar, daß, bei gleichzeitiger Isolierung Rußlands , dieser Freibrief zu nationaler Zersplitterung der stärksten und geschlossensten dieser Nationen, nämlich Deutschland , zugute kommen mußte, das sich jetzt mit jeder seiner Nachbarnationen gegen die anderen verbünden konnte, um versprengte Teile seiner nationalen Einheit zu„, erlösen" und schließlich unter Berufung auf das heilige nationale Prinzip eine europäische Kraftprobe heraufzubeschwören. Was damals, 1918, zu proklamieren war, es war der Internationalismus, nicht der Nationalismus, die Menschenrechte, nicht das Recht der Nation. Nicht darum handelte es sich, wollte man den nächsten Krieg verhindern: to make the world safe for democracy, sondern: to make democracy safe for the world.
Die österreichischen Nationen ,,, ruled by disunion", wie Mark Twain witzig formuliert hatte, durch Uneinigkeit verbunden, lebten jetzt in stolzer Abgetrenntheit. Keine wollte von der anderen etwas wissen, wie die heimgesuchten Fahrgäste auf der rückwärtigen Plattform unserer Elektrischen. Aber derjenige unter ihnen, der sich trotz der allgemeinen Verarmung noch immer den Luxus eigener Gedanken erlaubte, konnte sich der Einsicht nicht verschließen, wenn sie ihm vielleicht auch erst beim Aussteigen kam, daß alle diese Nationen, die einige Jahrhunderte lang in einem blühenden wirtschaftlichen Zusammenhang gelebt hatten, sich schlecht und recht vertragend und zusammen ein mächtiges Reich bildend, zwanzig Jahre später unter Hitlers Stiefelabsatz gleichmäßig vertierten. Früher ,, die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder" oder die ,, Länder der Ungarischen Krone", waren sie jetzt, ohne Unterschied, völlig versklavte Naziprovinzen oder-protektorate. All das dank dem Friedensvertrag von Versailles und seinen sinnreichen Verästelungen von Saint Germain und Petit Trianon . ,, An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen," heißt
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