196 ANFANG VOM ENDE UND ENDE VOM ANFANG
es in der Bibel. Man muß weder ein Betbruder noch ein Legitimist sein, um die unanfechtbare Richtigkeit dieses Satzes einzusehen.
Philanthropen und Pazifisten heben, mit Recht, gerne hervor, wieviel Menschenleben ein Krieg die Menschheit kostet: Daß ein Friedensvertrag unter Umständen noch mörderischer wirken kann als der mörderischste Krieg, lassen sie außer Betracht. Was den unsrigen betrifft, so hat er das Kunststück zuwege gebracht, nicht nur Österreich zu zerstücken, sondern auch die einzelnen Stücke, auf die Länge, lebensunfähig zu machen, wie sich nach dem geschichtlich unbeträchtlichen Zwischenraum von zwei Jahrzehnten mit erschreckender Deutlichkeit herausstellte. Eine Kraftleistung, die an das geistreiche Wort in einer Komödie Clifford Odets erinnert: ,, Das Weltall muß von einem Komitee regiert werden; denn ein Mann allein kann nicht so viele Fehler machen."
Aber vielleicht gab es, in unserem Jahrhundert, einen einzigen großen Mann, nämlich Clemenceau , der eine solche Kraftleistung im Positiven wirklich zustande hätte bringen können, hätte er nicht einen ganz kleinen Fehler zum Schluß gemacht, den Fehler nämlich, daß er, um Deutschland zu schwächen, was ihm nicht gelang, Europa zerstörte, was ihm gelang.
Von Wien aus gesehen zerfällt die Geschichte unseres Niederganges, der sich in zwanzig Jahren bis zur Katastrophe vollzog, in drei Abschnitte.
Erste Periode: Vom Waffenstillstand bis zum Brand des Justizpalastes Juli 1927. Es war der ebenso verwerfliche wie vergebliche Racheakt des Wiener Proletariats, der, indem er miẞlang, zum Fanal der sozialen Gegenreformation in Öster reich wurde. Vorzüglich organisiert und musterhaft diszipliniert, solange sie im Vormarsch war, übernahm sich unsere junge soziale Bewegung leider von dem Augenblicke an, da sie ans Ziel gelangt und die Republik in den Wiener Straßen aus


