GEWITTER ÜBER OSTERREICH ISI

Im ersten Kriegswinter starb mein Vater in dem letzten der von ihm erbauten Landhäuser, und im nächsten Kriegsjahr be­klagte ein trauervolles Österreich den Heimgang seines Kaisers, der längst nicht mehr der Vater, sondern der Großvater und Urgroßvater nachrückender Geschlechter seiner österreichischen Landeskinder geworden war. Er starb, mehr als sechsundachtzig­jährig, in einem Alter, in dem alles nur noch symbolisch ist, einschließlich des Todes. Wer so lang gelebt und sein Leben hinschwinden gesehen hat, stirbt nicht mehr. Er verwandelt sich nur noch in eine endgültige Erinnerung an sich selbst und man wird plötzlich gewahr, daß er dies schon geraume Zeit war. Die guten Wiener zwinkerten, wenn sie in diesen letzten Jahren vom alten Kaiser sprachen: Er ist ja längst schon tot, aber man darf's ihm nicht sagen, damit er sich nicht aufregt." Was sie nicht wußten war, daß er sich vermutlich nicht einmal mehr aufgeregt hätte.

Auch das aus den Lesebüchern bekannte Volk tat dies kaum. Eines Tages kam meine Frau zum Essen nach Hause mit der Nachricht, ihre Schneiderin hätte ihr anvertraut, daß die Hof­damen Trauerkleider bestellten. Zwei Tage später war der Kaiser tot. Die Trauertoiletten waren gerade noch rechtzeitig fertig geworden. Die zweite und dritte Gesellschaft kam erst etwas später nach. Doch trugen um diese Zeit schon so viele Mütter und Gattinnen Trauer, daß es kaum mehr auffiel.

Der Bericht über die letzten Stunden des Uralten liest sich ergreifend. Er starb, wie er gelebt hatte, in gewissenhaftester Erfüllung seiner Herrscherpflichten, die seines Dafürhaltens in einer regelmäßigen Aktenverdauung bestanden. Daß dabei nur der Akt Österreich unerledigt blieb, wagte kaum jemand zu bemerken, obwohl es auf der Hand lag. Kaiser Franz Joseph war nicht nur einer der langlebigsten, auch einer der erfolg­losesten Monarchen aller Zeiten. Bis auf das, daß er jede über­lebte, miẞriet ihm jede seiner politischen Unternehmungen, und