GEWITTER ÜBER OSTERREICH
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mit dem Titel Exzellenz verbunden war. Wie er dies in verhältnismäßig jungen Jahren so rasch geworden war, wußte in Wien jedes Kind, aber sozusagen kein Mensch. Daß er ein brillanter Kopf und frondierender Geist von ungewöhnlicher Schärfe war, machte seinen schnellen Aufstieg in einer Clique, zu der er weder abstammungsgemäß noch ideologisch gehörte, nur um so unerklärlicher. Vielleicht ist die Erklärung darin zu suchen, daß er amüsant war. Er war es sogar, wenn er einer langweiligen Sitzung präsidierte, was ihm die Teilnehmer solcher dienstlichen Zusammenkünfte noch in einem Abstand vieler Jahre hoch anrechneten, und er war es erst recht außerhalb seiner Amtsstunden, wenn er in gewählter Gesellschaft seine Witzraketen abbrannte und bei kleinen Frühstücken die schönsten Frauen Wiens mit den dazugehörigen Ehemännern und Liebhabern an seinem Tisch versammelte. Er war auch ein ständiger Gast und Freund im Hause der ehemaligen Burgschauspielerin Katharina Schratt , der langjährigen Herzensfreundin des uralten Kaisers, und er war dies schon in frühen Jahren gewesen, was einen bösen Wortwitz zur Folge hatte. Man sagte von ihm, er habe seinen Weg ,, Schritt für Schratt" gemacht. Andere behaupten, daß seine Karriere damit begonnen habe, daß er dem König Milan von Serbien in Ischl während eines plötzlich niedergehenden Regens seinen Schirm unbekannterweise aufgedrängt hätte. Aber das gehört wohl schon mehr ins Bereich übelwollender Wiener Fabeln.
Ein geistreicher Beamter, welche Gattung in Wien fast wie in Paris gedieh, war mein Bekannter auch sonst eine interessante Persönlichkeit und ein hintergründiger Charakter. Er war abschreckend häßlich, aber diese zugleich fratzenhafte und geistreiche Häßlichkeit hinderte ihn in keiner Weise, ebenso eitel wie häßlich zu sein, was weiter nicht verwunderlich sein mag für Leute, die über die Anfangsgründe der Charakterologie hinaus sind. Die Erfahrung lehrt ja, daß im Punkte
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