142

ANFANG VOM ENDE UND ENDE VOM ANFANG

nend. ,, Ich weiß nicht, wie Baron Musolin sich fühlt, aber ich würde mich sehr übel fühlen, wenn ich, an seiner Stelle, die Note auch nur um einen Schatten versöhnlicher stilisiert hätte." Wieder ein halbes Jahr später schrieb ich einen Brief an Hof­ mannsthal , der im Ballhausplatz- Orakel jetzt Sitz und Stimme hatte, und gebrauchte darin die Wendung, daß ich nicht zu jenen gehörte, die ,, auf dem Rücken der Völker Schach spielen. Er ist der einzige unter meinen an Hofmannsthal gerichteten Briefen, der unerwidert blieb, womit nicht gesagt sein soll, daß der Empfänger im Grunde nicht der gleichen Meinung war und den Herrschaftsstaat, wie ich, innerlich verwarf. Doch ent­hielt er sich der Antwort, getreu dem altösterreichischen Grund­satz, daß ,, man an gewisse Dinge lieber nicht rühren solle. Leider sind dies gerade jene Dinge, auf die es im Zusammen­leben der Völker am meisten ankommt.

Wen also belastet endgültig die Schuld, die seit dreißig Jahren einer dem andern zuschiebt? Schnitzler, älter und weiser als ich, schlägt in seinem erst nach seinem Tod veröffentlichten Kriegstagebuch vor, die Kriegsschuld ein für allemal von jeder Erörterung auszuschließen. Er tut es mit der tiefer lotenden Begründung: Jedes politische Geschehen ist schuldhaft." Der Philosoph freilich wird noch einen Schritt weitergehen und mit gleichem Recht das gleiche von jeder menschlichen Tat und sogar Nichttat behaupten; denn die Tat, die wir nicht tun, tut ein anderer und auch darin sind wir schließlich mitschuldig. Auch Pazifismus- wir haben's erlebt- kann einen Krieg ver­anlassen und politische Enthaltsamkeit kann zu Hitler führen, was das sich passiv verhaltende europäische Bürgertum aus eigenster schmerzlicher Erfahrung weiß. Der selbstlose Nihilis­mus des Denkers kann ebensowenig Sinn und Absicht der Geschichte sein wie der selbstische Zynismus des Imperialisten. Worauf Schnitzler ebenso wie Zweig erwidert haben würde, daß die Geschichte eben weder Sinn noch Absicht habe. Welche