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ANFANG VOM ENDE UND ENDE VOM ANFANG

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nicht das geringste bemerkt habe. Wir in unserem steirischen Alpendorf merkten ungefähr ebensoviel. Und wie auch hätten wir etwas merken sollen? Es war alles schlau auf Nichtmerken­lassen abgekartet. Conrad, das populäre Haupt der österreichi­schen Kriegspartei, hatte einen in den Zeitungen verlautbarten mehrwöchigen Urlaub angetreten und der deutsche Kaiser be­fand sich auf einer Nordlandreise. So wurde die ,, Bevölkerung" - zur Bezeichnung ,, Volk" hatte man sich damals noch nicht aufgeschwungen künstlich eingelullt, während die Ernte ein­gebracht wurde und die Diplomaten an der nach Serbien ab­zusendenden Note feilten, von der man munkelte, daß sie ,, scharf" sein werde. Sie war es. Aber nach Ablauf der vor­gesehenen Frist, am 26. Juli abends, kam ein neugieriger Som­mergast, der einzige Automobilbesitzer unter uns, von einer Erkundungsfahrt in den nahegelegenen Marktflecken mit der uns schon im Fahren zugewinkten Nachricht zurück: ,, Serbien hat alle Bedingungen angenommen." Es war genau wie nach dem Ringtheaterbrand, als der Polizeioffizier meldete: ,, Alles gerettet, kaiserliche Hoheit!" Am nächsten Tag war der Krieg ausgebrochen.

Aber auch das noch merkten wir auf eine mehr ländliche Art. Morgens blieb die Erdbeerfrau aus, die sonst immer ihren Hökerkorb beim Küchenfenster niederstellte und den mit fri­schen Blättern zugedeckten Teller selbstgesammelter Walderd­beeren herausnahm, und auch der Honigbauer zeigte sich nicht, der am Nachmittag fällig war. Der Mann hatte Söhne, die über Nacht ,, einrückend gemacht" worden waren, und die Erd­beerfrau hatte einen Mann, der hoch oben in den Triften som­mersüber als Senne lebte. Der Gendarm, das ländliche Voll­zugsorgan, war nachts zu ihm hinaufgestiegen und hatte ihm den Einberufungsbefehl überbracht. Auch der Sohn des Bauern, dem wir unser Häuschen abgemietet hatten, war einberufen worden, wie der mit geschulterter Sense unter meinem Fenster