WER HORT AUF KASSANDRA?
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ihres Wunsches warten müssen. Sie bezahlte ihn mit ihrem Leben. Als der Mörder im Vorbeifahren auf den verhaßten Erzherzog zielte, warf sie sich dazwischen, den geliebten Mann mit ihrem Leibe deckend. Sie starben zugleich.
Es besteht eine unheimliche Beziehung zwischen dem Schuẞ in Mayerling und dem Schuß in Sarajewo . Hatte jener das Bündnis mit dem Deutschen Reich ,, auf Gedeih und Verderb" besiegelt, so zog dieser, ein Vierteljahrhundert später, die letzte Folgerung, die der Weltkrieg war. Dem Kaiser Franz Joseph schien es nach seinen ererbten mittelalterlichen Begriffen von Untertanentreue selbstverständlich, daß für eine der Dynastie zugefügte Beleidigung die braven Untertanen sich schlagen müßten. Er faßte das Ganze als eine Art Duell zwischen vierhundert Millionen Menschen auf. Aber zu einem Duell braucht man, wieder nach ritterlichen Begriffen, einen Sekundanten. Das war Deutschland ; erst als es zugesagt hatte, ließ man das auf Unannehmbarkeit stilisierte Ultimatum vom Ballhausplatz", wie man noch immer heiter sagte, abgehen.
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In der Zwischenzeit wußten von dem, was uns bevorstand, nur einige wenige einflußreiche Persönlichkeiten, die, um sich ihre Mitwirkung zu sichern, ins Vertrauen zu ziehen Berchtold angemessen schien. Unter ihnen befand sich Moritz Benedikt , der Napoleon unter den österreichischen Journalisten. Er war ein stämmiger kleiner Mann, der große Schritte machte und selbst, wenn er nur spazieren ging, was seine einzige Passion war, raumverschlingend ins Weite drang. In seinen Gesichtszügen erinnerte er etwas an Schmerling, den österreichischen Staatsmann seiner Jugendjahre, mit dem er auch den machtbetonten zentralistischen Liberalismus und einen gewissen hinter die Kulissen des öffentlichen Lebens blickenden, men


