WER HORT AUF KASSANDRA?
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nach Osten abgedrängt, nur noch ein größerer Balkan werden, und zu diesem Zwecke mußte man Serbien erledigen. Vergeblich schickte Serbien seinen besten Mann, Pashich, nach Wien , der vernünftige Vorschläge machte. Serbien verlangte nicht mehr als einen Ausgang zum Adriatischen Meer und eine Ausfuhrmöglichkeit für seine Ochsen und Schweine. Beides wäre im Interesse Österreichs gelegen gewesen. Denn die Bahn zu dem künftigen albanischen Hafen sollte Österreich bauen, und die freie Vieheinfuhr hätte die unerschwinglich gewordene Lebenshaltung der arbeitenden Klasse wesentlich erleichtert. Aber nein, die Herren im Auswärtigen Amt, die Diplomaten, die ,, Herren mit den weißen Manschetten", wie sie Rahel Varn hagen vor hundert Jahren genannt hatte, waren dagegen. Man ließ Pashich unverrichteter Dinge wieder abreisen. Es war sechs Monate vor der Ermordung Franz Ferdinands in Sarajewo durch zwei serbische Studenten, die aber beide österreichische Untertanen waren.
Wenige Wochen bevor dies geschah, war ich bei einem unserer geistreichsten österreichischen Politiker zu Gast. Selbstverständlich war er in der Opposition, wie alle vernünftigen Österreicher es waren, wenn sie den Mut hatten, es zu sein, und mit Franz Ferdinand höchstens insoweit einverstanden, als er in einem liberalen Föderalismus die einzige Möglichkeit einer Lösung der österreichischen Nationalitätenprobleme sah. Ich war eben von einer Reise nach Konstantinopel zurückgekommen und erzählte bei Tisch von meinen Eindrücken, von den Schafen, Schweinen und Ochsen, die sich überall auf den serbischen Stationen in überfüllten Viehtransportwagen gedrängt hatten und blökend, quiekend, brüllend sich hörbar um eine Ausfuhrerlaubnis zu bewerben schienen, und von dem deutschen Bahnhof in Haidar Pascha, der europäischen Kopfstation der mit deutschem Geld gebauten anatolischen Eisenbahn, der wie eine imperialistisch geballte Faust auf dem Gelände lag. Der Haus
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