WER HÖRT AUF KASSANDRA?

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Damals kam es nur darum nicht zum endgültigen Bruch, weil die Begründung ist kennzeichnend der deutsche Kaiser Conrad auszeichnete. Aber ein halbes Jahr später, als die Affäre Redl wie eine Bombe ins öffentliche Leben einschlug, war der kurzgehaltene Knasterbart des Generalstabschefs in noch größerer Gefahr, dasjenige zu erleiden, wovor der mutige Mann sich einzig fürchtete: seinen Abschied in Form des soge­nannten blauen Bogens zu erhalten und nach Abstreifung der Uniform im namenlosen Bürgerkleid zur Hölle zu fahren.

Der Fall Redl ist ein Fall, der in den Pitaval gehört, nicht nur in den großen Pitaval, sondern in den noch ausschließ­licheren kleinen. Er ist so oft erörtert worden, daß man ihn als nahezu bekannt voraussetzen darf.

Es war in diesen kriegslustigen Monaten vor dem Weltkrieg aufgefallen, daß jede gegen Rußland gerichtete militärische Verfügung sofort und fast gleichzeitig mit der entsprechenden Gegenmaßnahme beantwortet wurde. Die Polizei, vom Kriegs­ministerium gewarnt, tat, was sie nach dem bestehenden Staats­grundgesetz nicht tun durfte, sie verletzte das Briefgeheimnis und stellte auf diesem Wege fest, daß irgend jemand in der Spionage- Abteilung des Generalstabes postlagernde Brief­sendungen mit großen Geldsummen unter der Chiffre ,, Opern­ball 1913" erhielt. Der Irgendjemand war der Chef der Abtei­lung, Oberst Redl. Ein im Taxi liegengebliebenes Futteral des Federmessers, mit dem er als ein ordnungsliebender Mann den am Schalter übernommenen Geldbrief geöffnet hatte, verriet ihn. Zwölf Stunden später erschoß er sich in seinem Hotel­

zimmer.

Der Thronfolger schlug Lärm. Nicht sosehr, weil Redl sich hatte erschießen müssen, als weil die damit betrauten Offiziere ihm nahegelegt hatten, sich zu erschießen. Das war gegen die religiösen Grundsätze des Thronerben. Jemanden zum Selbst­mord verleiten, der nach katholischer Auffassung eine Tod­