WER HORT AUF KASSANDRA?

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im Theater. Rußland war zurückgewichen und ich durfte nach dem zweiten Akt vortreten und mich vor einem Beifall klatschen­den Publikum dem Burgtheaterpublikum verbeugen. Mein Jugendtraum war in Erfüllung gegangen. Und in einer Zweiten- Rang- Loge, wie sie dem Autor im Burgtheater zukam, saß, marmorbleich in einem schwarzen Samtkleid, eine schöne Frau und schaute herunter. Es war meine Frau.

Damals glaubten wir, die Annexionskrise wäre überwunden. Sie war es nicht, wie sich in den folgenden fünf Jahren zeigte. Denn die Angliederung Bosniens , wenn auch zur Zeit unwider­sprochen, weil Rußland erschöpft war, führte zum ersten Balkan­krieg, der erste zum zweiten, der zweite, über Sarajewo , zum Weltkrieg I und dieser zum zweiten. 1914 bis 1944: Eigentlich war es ein anderer dreißigjähriger Krieg, mit einigen un­ruhigen Waffenstillständen dazwischen.

War dies der Krieg, so war, was sich vorher zwischen 1909 und 1914 abspielte, ein einziger ununterbrochener Kampf um den Krieg, in dem der vom Kaiser bis zuletzt verteidigte Friede schließlich unterlag. Sein Gegner, Conrad von Hötzendorf , war um zwanzig Jahre jünger und stärker. Er war neben dem Thron­folger die eigentlich interessante Figur dieses österreichischen Zeitabschnittes.

Ich lernte ihn bei einem Frühstück kennen, bei dem er, als Generalstabschef, nichts zu suchen hatte. Aber es war da eine zauberschöne Frau, in die der drahtige Sechziger verliebt war und die er später heiratete und der zuliebe er überflüssiger­weise in Gesellschaft ging.

Er saß bei Tische neben mir und machte mir ein Kompliment über meine Schreiberei. Ich sagte mit der notwendigen Beschei­denheit eines jungen Autors: ,, Ich staune, Exzellenz, daß Sie bei Ihrem Beruf Zeit finden, solche Dinge zu lesen." Er ant­wortete in soldatischem Tonfall: ,, Warum nicht? Ich halt' es mit dem großen Chemiker Lieben, der einmal gesagt hat:, Wer