116

ERLEBTES OSTERREICH

in beiden Eigenschaften über das Burgtheater, so wie es nun einmal war, geärgert hatte, hat es am Ende seiner Tage so genannt, und diese Bezeichnung, die es ein für allemal mit unserem Bildungszeitalter verbindet, mag ihm in aller Zukunft angeheftet bleiben. Denn das war es wirklich und sollte es sein nach dem Willen des freisinnigen Kaiser Joseph, der es vor hundertundsiebzig Jahren gegründet und ihm sein dem Statut der Comédie Française nachgebildetes Statut verliehen hat. Auch in seiner künstlerischen Struktur erinnerte es viel­fach an diese große Kultstätte des französischen Theaters, nur daß es weit weniger national war. Im Wiener Burgtheater wurden jederzeit, seine Bewußtseinsunterbrechung in den schlimmen Nazijahren abgerechnet, weit mehr ausländische als deutsche Dramatiker aufgeführt und kaum ein Fünftel aller aufgeführten Stücke war österreichischen Ursprungs. Räumlich in den ersten hundertundzwanzig Jahren seines Bestandes ein Annex des Kaiserhauses, teilte und vertrat es auch grundsätz­lich dessen übernationale Gesinnung. Seine Giebelfigur war der in die Ferne winkende Apollo und sein ungeschriebener Wahlspruch das Wort der Antigone: ,, Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da!"

-

Als ein Freund des klassischen Zitats verriet es sich schon die äußerlich in seiner Architektur. Das ,, neue" Burgtheater alten Wiener nannten das mehr als fünfzigjährige Gebäude noch immer neu- war im Stil der französischen Spätrenais­sance erbaut und renaissancemäßig war auch sein vierstöckiger Logenschlot. Aber im Foyer, dem großen Bildersaal der Schau­spieler, wo unsere gläubige Jugend zu den Medeen und Ham­lets verrauschter Jahrhunderte wie zu Heiligenbildern auf­blickte, verjüngte es sich um ein gutes Jahrhundert; denn hier vermengten sich deutliche Rokokoanklänge mit einem über­ladenen Jesuitenstil, den man mit Fug auch theatralisch nennen könnte, und der im Theater an die Kirche erinnerte. Das war