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ERLEBTES OSTERREICH

Ich möchte, wär's möglich, stehenbleiben, Wo Schiller und Goethe stand.

Daß dieser Standplatz bei den Klassikern seine Gefahren für einen noch lebenden Dichter hatte, darüber war sich Hofmanns­ thal völlig klar. Kurze Zeit vor seinem Tode, zur Zeit der Republik , hatte ich ein unvergeßliches Gespräch mit ihm über die hoffnungslose Lage des österreichischen Schriftstellers. ,, Was soll er also tun, der österreichische Dichter?" fragte ich, seinem Pessimismus begegnend., Sterben!" kam im Falsett die er­schreckende Antwort.

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Wassermann stand der Gegenwart zugleich näher und ferner. Er war kein Wiener, kein Aristokrat wie Hofmannsthal und entstammte der Sphäre des, wie er fand, dämonischen Klein­bürgertums. Das Wort ,, dämonisch" war eines seiner Lieblings­worte, ein anderes, das er gern gebrauchte, war ,, metaphysisch", und an beiden Worten liebte er mehr den dunklen Rand als den klaren Inhalt. Übrigens sagte er ,, tunkel" statt dunkel und ,, peteudent" statt bedeutend, da er, mitteldeutscher Abkunft wie er war, alle harten Konsonanten weich und die weichen hart aussprach ungefähr wie die französischen Romanschrift­steller einen Deutschen Französisch sprechen lassen-, was seiner oft bemüht altväterlichen Ausdrucksweise einen eigen­tümlichen antiquarischen Zauber verlieh. Man konnte von ihm sagen, er redete Butzenscheiben und altdeutsche Eichenmöbel. Aber es paẞte zu ihm; denn er hatte den Kopf eines schwarz­haarigen Florian Geyer , und er schrieb die schönste deutsche Prosa, die ein deutscher Romandichter seit den Tagen Hölder­lins und Novalis mit dem Gänsekiel zu Papier gebracht hatte. Als er dann diese romantische Prosa mit modernen Zeitinhalten verbinden lernte und, von Jean Paul kommend, zu Balzac und Dostojewskij fand, entstand der nach westlichen Mustern in den Rahmen verpflichtender Wirklichkeit gespannte, Ideen­