94 ERLEBTES OSTERREICH

Lebensjahr war ich entschlossen, Stücke, und zwar Lustspiele, fürs Burgtheater zu schreiben. Ich tat es, nicht ganz ohne sicht- baren Erfolg, ich hatte meinen Namen leidlich bekannt gemacht, und von meinen zahllosen kleinen Geschichten hatte die eine oder andere da oder dort einem Kenner gefallen. Bei alldem hatte ich eigentlich keinen rechten Begriff, was Schreiben oder gar Dichten heißen will und erfuhr es erst jetzt, ein bereits verheirateter Mann und angehender Dreißiger. Aber ich erfuhr es nicht im Wege bewußter Belehrung, sondern so wie wir einzig erfahren können, was uns belebt und befruchtet: durch seelische Berührungen, über die wir uns kaum Rechenschaft geben.

Ich spielte Schach mit Wassermann; ich ging hin und wieder mit Schnitzler spazieren; ich saß in stundenlangen Gesprächen Beer-Hofmann gegenüber, der ein Dramatiker auch der Rede und ein Schauspieler mündlicher Mitteilung war; ich hatte das Glück, mit Hofmannsthal um den See herum zu gehen und mich unterwegs in das gesprochene Gespinst eines seiner dramatischen Pläne zu verstricken: All das war scheinbar nicht mehr als der Anerkennungspreis für eine glücklich bestandene Prüfung, von der ich zunächst nicht einmal wußte, daß ich sie bestanden hatte. Es war aber eine um so strengere Prüfung, als ihre Fächer dem Adepten erst hinterher, wenn überhaupt, bekannt wurden. Diese Fächer waren erstens und vor allem: Menschlichkeit; zweitens ein absolut eindeutiges Verhältnis zur Wahrheit; drittens Ma- nieren; und viertens jeneFreude sich mitzuteilen, wie Goethe es nennt, die das belebende Element jeder wahren Geselligkeit bildet. Das Wort Gesellschaft wurde dabei nicht einmal aus- gesprochen. Aber unversehens wurde mir klar, was ich in der sogenannten Gesellschaft nie erfahren hätte, nämlich daß die wahre Gesellschaft weder die erste noch die zweite noch die dritte ist, sondern etwas, was zwischen diesen anmaßlichen Krei- sen liegt und darüber. Es ist die Gesellschaft, in die man nicht geht, sondern kommt.