IN UND AUS DER WIENER GESELLSCHAFT

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Auch Hofmannsthals äußere Erscheinung hob sich für uns von einem Hintergrunde ab, in den ein Stück Italien noch sichtbar hineinragte. Eine seiner Großmütter, ich glaube es war die­jenige, der er als Jüngling das entzückende Gedicht ,, Großmut­ter und Enkel" widmete, stammte aus Mailand . Auch er bevor­zugte als ganz junger Dichter die in Wien um die Jahrhundert­wende so beliebte italienische Renaissance, obwohl er eigentlich mehr im achtzehnten Jahrhundert Venedigs zu Hause war. Tizian wäre sein Maler nicht gewesen, aber vielleicht Giovanni da Bo­ logna sein Bildhauer; der feine, schmale Kopf mit dem ver­hängten Blick und der etwas herabhängenden Unterlippe, mit der von Geist und Geschmack geadelten, herrisch gebuckelten Nase und den schlaffen Zügen von maskenhafter Farblosigkeit hatte etwas Skulpturales; Rodin hätte ein Seitenstück zu seinem Gustav- Mahler - Kopf aus diesem edlen Material bilden können. Bezeichnenderweise ist das beste Abbild, das wir von ihm be­sitzen, eine Büste des Dreißigjährigen.

Ich begegnete Hofmannsthal zum ersten Male im Hause des Grafen Carlo Seilern in Altaussee , und es war Wassermann, der mich mit ihm bekannt machte. Wir hatten ein leicht ver­schwebendes Gespräch über das Lustspiel in den letzten drei Jahrhunderten, und tags darauf sagte mir Wassermann beim Schachspielen: ,, Sie haben gestern an Hofmannsthal eine große Eroberung gemacht." Womit ich aufgenommen war in den Klub der Unsterblichen.

Es gibt Erlebnisse und Erlebnisse und ihre Rangordnung wird uns oft erst nach langer Zeit im Rückblick auf das Verlorene deutlich. Die leisesten sind oft die nachhaltigsten, die undrama­tischen verändern uns zutiefst, ein Fingerwink, befolgt oder übersehen, bestimmte am Ende die Richtung unseres Weges. Die Zeichen geschehen; sich nach ihnen zu richten, bleibt dem von seinem Dämon Getriebenen anheimgegeben. Mein Dämon war augenscheinlich die Literatur. Seit meinem dreizehnten