IN UND AUS DER WIENER GESELLSCHAFT

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einmal höchst ärgerlich: ,, Also, alte Leute trifft man heutzutage überhaupt keine mehr. Und wenn man einem begegnet, ist er von früher."

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Auch das Wiener Feuilleton war von früher und blieb es. International verschwägert und versippt wie ein Wiener Adels­haus, wies es in seiner Blutmischung französische und englische Einflüsse auf und verband sie mit einem mehr oder weniger bodenständigen Deutschtum, das der ,, deutschen Orientierung" lange vorangegangen war. Heine und Börne waren selbstver­ständlich unter seinen Ahnen, aber der Stammbaum reichte viel weiter zurück, in Wien bis auf Abraham a Santa Clara , den wortwitzigen Wiener Fastenprediger. Hofmannsthal fand sogar, daß die erlauchte Form des Feuilletons, deren er sich gern be­diente, ohne ihr zu dienen, etwas Horazisches habe, wobei er offensichtlich an die Episteln des Horaz dachte, wie ja auch der Pariser Vetter der Wiener Feuilletonisten, Jules Janin , es als einen ,, Brief an eine unbekannte Leserin" etwas feminin definiert hatte. Der große österreichische Denker, Popper- Lyn­keus, der von Goethes Faust den Namen und von Voltaire den enzyklopädischen Freigeist übernommen hatte und fortsetzte, hatte mehr die wissenschaftliche Seite dieser reizvollen und viel­verlästerten Literaturgattung im Auge, wenn er, zweiundacht­zigjährig, und seit mindestens sechzig Jahren ein aufmerksamer Leser des Besten, was sie hervorgebracht, kategorisch zu mir sagte: ,, Das Feuilleton der Neuen Freien Presse' ist eine Volks­universität." Vielleicht war es etwas zu liebenswürdig, das ver­pflichtende Lob auf die ,, Neue Freie Presse " zu beschränken, ob­wohl man zugeben muß, daß ihr großer Herausgeber Moritz Benedikt einen wahren Mediceerehrgeiz besaß, alles, was gut und teuer war, in dieser Rubrik seines Blattes um sich zu ver­sammeln.

International wie seiner Abstammung nach, war das Feuille­ton auch in seiner Gesinnung. Es war eine durchaus westliche