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ihrer Feder lebten- darunter hochbegabte, die, wenn sie Ökonomisten waren, später reich, und wenn sie als Leitartikler angefangen hatten, später Herausgeber oder beides wurden-; und außerdem Beamte, die nach dem Alt- Wiener Rezept ,, Morgens ins Büro mit Akten, abends auf den Helikon" sich im Nebenamte literarisch betätigten, wenn sie zum Violinspielen oder Aquarellmalen nicht genug Begabung besaßen. Wer weder das eine war noch das andere, weder Staats- noch Zeitungssöldling war, hatte es schwer und sah sich vergeblich nach Vorbildern um. Höchstens Hermann Bahr war eines, der neben Theodor Herzl , aber mit mehr Erfolg, als erster versuchte, eine freie literarische Produktion mit einer gewissen Art von literarischem Journalismus in Einklang zu bringen. Das Wiener Feuilleton, das immer schon literarische Ansprüche vorausgesetzt und befriedigt hatte und das zudem eine Brücke, wenn auch nur eine Tagesbrücke, zur grundsätzlichen Unbelesenheit der Gesellschaft schlug, schien dazu wie geschaffen. Und warum auch nicht? In den großen westlichen Ländern hatte diese Kombination immer schon bestanden und geblüht. Sainte Beuve und sogar Diderot waren Feuilletonisten in einem höheren und hohen Sinne; und ebenso waren es Addison und Charles Lamb , ja sogar Thackeray , bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Und schrieb nicht auch Anatole France in Paris regelmäßig Literaturkritiken für den ,, Temps", nicht nur bevor, sondern während er seine weltberühmten Romane schrieb? In Paris nahm an dieser Doppelbemühung, die eine blitzblanke Feder in Schwung erhielt und trotzdem über jeden Verdacht erhob, kein Mensch Anstoßẞ. In Wien freilich hätte man die Erzählerbegabung Anatole Frances mit der Begründung in Zweifel gezogen, daß er ja ,, früher" in dem ,, Temps" geschrieben habe. Das wienerische ,, früher": man begegnete ihm in Wien auf allen Wegen, zuweilen auch auf einem spaßhaften. So sagte etwa der alte Maler Schödl, der die besten Wiener Witze machte, nämlich die ungewollten, im hohen Alter


