IN UND AUS DER WIENER GESELLSCHAFT

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Saar etwa oder der noch älteren Ebner- Eschenbach , etwas aus ihren zwar im Druck erschienenen, aber gänzlich unbekannten Werken vorlesen zu lassen und ihnen nachher, mit dem zu­geklappten Lorgnon auf dem Handschuh, etwas Beifall zu zol­len. Aber was lasen diese schöngeistigen Damen zu Hause, welche Bücher erwarteten sie auf ihrem Nachtkästchen nach dem Abend in der Grillparzer- Gesellschaft? Dahn, Ebers, Baumbach, der überaus beliebte Scheffel ,, Er ist nur ein Trompeter und doch bin ich ihm gut"- und der im Wald und auf der Heide gleich unwiderstehliche Ganghofer, ein werdender Liebling des deutschen Kaisers. Kein Österreicher stand auf dieser Liste, noch wäre er auf der Bücherliste der so berühmt schöngeistigen Kaiserin Elisabeth zu finden gewesen, die um die Jahrhundertwende das tragische Vorbild aller fein­sinnigen älteren Damen in Österreich war. Die Kaiserin, die ihre außerordentliche Schönheit und ihr Mater- dolorosa- Schick­sal hoch über die Menge erhoben, schwärmte für Heine und ließ sich auf Spaziergängen den Homer im Urtext von ihrem griechischen Sprachlehrer vorlesen, der zu diesem Zwecke rück­wärts vor ihr herschreiten mußte: daß sie den achtzigjährigen Grillparzer, der nahe ihrer Hofburg in der Wiener Spiegel­gasse wohnte, jemals zu sich herübergewinkt hätte, ist nicht bekannt. Und auch das wurde eine Art Hausgesetz, nicht nur im Kaiserhaus, sondern in jedem ,, besseren" Wiener Haushalt: Wenn schon ein zeitgenössischer, noch lebender Dichter oder Schriftsteller, dann sollte er wenigstens ein Ausländer sein. Als ich einmal wagte, einer unserer eleganten Wiener Freun­dinnen ein neueres Werk eines noch lebenden österreichischen Schriftstellers zu empfehlen, sagte sie mit einem leichten Stirn­runzeln, verhalten, aber sehr entschieden: ,, Ich und meine Toch­ter lesen nur englische und französische Sachen." Und die alte Fürstin Pauline Metternich , Schwiegertochter des Staatskanzlers und tonangebend in der versnobten wie in der wirklichen

6 Verlorene Zeit