IN UND AUS DER WIENER GESELLSCHAFT

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war, in keiner Weise geneigt, dem Schriftsteller als Schrift­steller irgendeinen Rang zuzugestehen oder eine Stellung einzuräumen. Wo es dennoch geschah, galt es seiner Person, aber nicht seinem Talent und am wenigsten der politischen Meinung, die dieses Talent vertrat. Man betrachtete sie als seine Privatsache, um die man taktvoll weder fragte noch sich kümmerte. Wenn er reaktionär eingestellt war, um so besser, aber selbst dann hatte es keine Bedeutung, es wäre denn, daß er Hofrat wurde oder daß ihn der Kaiser ins Herrenhaus berief, was einmal in einem halben Jahrhundert geschah. Und selbst da ergab sich in Unkenntnis seiner Schriften manchmal, daß man fehlgegriffen hatte. Als der alte Grillparzer, ein edler alter Liberaler im Grunde, aber politisch völlig ungeschult, ins Herrenhaus kam, fragte ihn jemand, wie er es, ohne die ent­sprechende Sachkenntnis, bei den Abstimmungen halte. ,, Oh, das ist ganz einfach!" antwortete er: ,, Wenn der Fürst Windisch­grätz aufsteht, bleib' ich sitzen, und wenn er sitzen bleibt, steh' ich auf!" Der Adel war auch im negativen Sinn noch maẞ­gebend.

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Hugo von Hofmannsthal , ein Nachfahre Grillparzers und mehr dem Herrschaftstaat zugeneigt zumal in seinen An­fängen, denn später sah er, ein entthronter Österreicher, einen ,, neuen Weltstand" voraus-, Hofmannsthal drückte es anders aus, indem er in einem ebenso schönen wie wenig gelesenen Essay über Gedichte vom Dichter sagt, daß er im Gebäude des alten Machtstaates ,, unter der Stiege" wohne, was diejenigen, die in der Beletage hausten, als eine vollkommen überflüssige Bemerkung kaum zur Kenntnis nahmen. Dabei kann man nicht sagen, daß die in Österreich regierende Tory- Gesellschaft un­gebildeter war als in anderen, fortgeschritteneren Ländern. Wir hatten in Wien hochgebildete Politiker und Aristokraten, nur daß ihre Bildung grundsätzlich der Vergangenheit zu­gewendet war und blieb. Sie konnten ganze Versketten aus