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ERLEBTES OSTERREICH
99.
brachten ihre besten Stücke in ihren Gastspielkoffern mit nach Wien . Das ,, Ibsen "-Theater, wie wir es nannten, des Berliners Otto Brahm , das Reinhardt- Theater mit Alexander Moissi als Jedermann", das Künstlerische Theater von Moskau des unvergleichlichen Stanislawski, das damals noch kaiserliche Rus sische Ballett, sie alle haben die Wiener entzückt und sich von diesem besten Theaterpublikum der Welt entzücken lassen; sie haben sich verschwendet und sind dabei reicher geworden. In Wien ist Carusos ,, La donna è mobile" in perlenden Nachtigalllauten zur Galerie emporgestiegen und in Wien ist Nijinski im ,, Geist der Rose" aus einem Blumenkelch aufgeschwebt, als ob sein geschmeidiger Körper zum Fliegen geboren wäre.
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Die Duse, die größte auf ihrem Gebiet und ihr Gebiet war ein unendliches: die menschliche Seele- die Duse ist, was heute nur noch ganz wenige wissen, eine Wiener Entdeckung. Natürlich hatte sie schon vorher Theater gespielt, seit ihrem vierten Jahr, in Italien und sogar in Rußland . Dann aber kam sie, eine interessante junge Schauspielerin, im Jahre 1893 nach Wien und spielte auf der von der Fürstin Pauline Metternich inaugurierten ,, Theaterausstellung" zum erstenmal die ,, Nora". Am nächsten Morgen war sie weltberühmt, und wenn sie dreißig Jahre später an einem nebligen Wintertag in Pittsburg ( Penn sylvanien ) starb, so ist dieser übers Weltmeer reichende Erfolg ein Werk der Wiener Kritik, die sie über Nacht erkannt, verstanden und das, was einzig war an ihr, gewürdigt hat. Die Kritik gehört nämlich auch dazu, was immer die Theaterleute sagen oder sich denken mögen, und Wien hatte die beste, die feinfühligste und menschlich anständigste. Es war der Mühe wert, für solche Kunstrichter ein Wort, das es nur im Deut schen gibt Komödie zu spielen. Die Namen Speidel, Hanslick und einige andere werden in diesem Zusammenhang weiterleben. Wobei zu bemerken ist, daß Speidel, der Großmeister der kritischen Zunft, in jenen frühen Tagen auch noch den Auf
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