O DU MEIN OSTERREICH! 69
gewollten Standesunterschiede erhob, stand der Künstler, der Musiker, der Maler, der Dichter— wenn er fürs Theater schrieb—, vor allem aber der Schauspieler. Wien , das immer eine Theaterstadt war, war es in jenen Tagen in einem Grade wie nie zuvor. Es war für einen jungen Schriftsteller, der ein bißchen mit der Feder umzugehen wußte, schwer, kein Stück zu schreiben, und auch ich konnte dieser Versuchung,„berühmt“ zu werden, nicht widerstehen. Ich schrieb zweiundzwanzigjährig ein dreiaktiges Lustspiel und es war das einzige abendfüllende Stück von mir, das in dem später so berühmt gewordenen Wiener „Josefstädter Theater“ zur Aufführung kam. Sein damaliger junger Direktor Josef Jarno gab meinem Wechsel- balg den herausfordernden Titel„Talent“.
Diese mich mehr als ihn verpflichtende Überschrift war klug gewählt. Talent zu haben war damals alles. Wien schwamm in Talent wie Venedig im Wasser. Der Künstler beherrschte die Epoche; alle Rang- und Standesunterschiede durchbrechend, trat er, wenn ihn der Erfolg beglaubigte, mit einem Schlage aus dem Nichts ins All, und nirgends vollzog sich diese märchen- hafte Umwandlung sichtbarer als im Bühnenlichte des Theaters oder Konzertsaales.
Gustav Mahlers Erscheinung hob sich eindrucksvoll von diesen beiden Hintergründen ab. Er war der Direktor der Wiener „Hofoper“, die ihre größte Zeit unter ihm erlebte, und der große Dirigent der„Philharmonischen Konzerte“. Daß er auch ein großer, schöpferischer Musiker war, bemerkten die meisten Wiener , wenn auch nicht die besten, erst nach seinem Tode und nachdem er in Amerika weltberühmt geworden war. Bis dahin deckte der„Direktor‘‘ den Künstler, sowie im Falle Beethovens der„Klavierspieler‘“ den Tondichter deckte. Die Wiener sind große Grabplattenbewunderer; und um der Unsterblichkeit nicht vorzugreifen, finden sie das Genie bei Lebzeiten lieber mit dem
niedrigeren Rang ab.


