O DU MEIN OSTERREICH!

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als ob man es wäre. Gott war nur noch ein armer Verwandter, der einmal im Monat durch die Hintertüre Besuch machte, den man aber für gewöhnlich an der reichbesetzten Tafel lieber nicht erwähnte.

Das war in meinem Wien ungefähr wie überall, mit der Ein­schränkung allenfalls, daß man in der ersten Gesellschaft an einer formalistisch starren Gläubigkeit, die nur die katholische sein konnte, äußerlich festhielt. Auch hier zuweilen mehr aus Kaisertreue als aus Gottestreue. Da der Kaiser von Gottes Gnaden war, mußte es auch einen Gott geben. Die Monarchie postulierte die Religion. Den Luxus eines unverfälschten Mate­rialismus konnte sich nur die Republik gestatten. Auch die Schönheitsfreunde fanden ihn ärgerlich.

War diese Schönheitsfreude eine Eigenheit des Wiener Materialismus, die sich darin kundgab, daß hier die Freidenker ausnahmslos für die Fronleichnamsprozession, mit Kaiser, Weih­rauchfaß und Arcieren- Leibgarde, schwärmten, so konnte und wollte das Weltbild des Österreichers auch sonst der künst­lerischen Zutat nicht ganz entbehren. Im Gegenteil: da die Hauptsache abhanden gekommen war, wurde die Zutat immer wichtiger und unentbehrlicher. Den Priester beerbte der Künstler, den man jetzt einen Priester des Schönen nannte, und den Gläubigen der Ästhet. Das freilich war schon wieder inter­national; denn was ist der Ästhetizismus anderes als Materia­lismus mit einem Goldrand. Aber in Wien wurde der Gold­rand fast zum Glorienschein.

Was für eine schöne Stadt war damals Wien , wie prächtig war es herangewachsen und wie lieblich hatte es sich nach Spren­gung seiner Basteien im Gelände ausgestreckt. Andere Groß­städte umschlossen Gärten, Wien lag in einem Garten, dem Naturpark des Wienerwaldes, der es von drei Seiten einschloß, und die vierte Seite verlor sich im Prater, einem anderen Wald von Aubäumen. All das gehörte jetzt zu Wien , Wälder und

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