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In der Studentenschaft überwog bereits das nationale Element das liberale und das reaktionäre das nationale. Ein politisches Programm hatte genau genommen nur die erste Gesellschaft, die wenigstens wußte, was sie wollte, nämlich die Aufrechterhaltung des religiös gebundenen Machtstaates. Die mehr freidenkerische zweite Gesellschaft bemühte sich damit, dagegen zu sein, doch ohne recht zu wissen, wofür sie war. Um richtig Revolution zu machen, war man in diesen Kreisen zu satt, es wäre denn auf künstlerischem Gebiet, wo man den Umsturz ästhetisch sublimierte. Es gab eine moderne Malerei, die auf Klimt , eine moderne Musik, die auf Gustav Mahler pochte, und eine aufrührerische Literatengruppe, das sogenannte ,, Junge Wien ", dessen Verschwörerherd das in einem uralten Haus untergebrachte ,, Café Griensteidl" war.
Blieb nur die dritte Gesellschaft, die schon darum einen erzieherischen Einfluß nicht nehmen konnte, weil sie ja im Grunde nichts zu reden hatte. Sie war denn auch dementsprechend radikal; wie dem Kiebitz, der selbst nicht mitspielt, war ihr das Spiel nie hoch genug. In diesen Kreisen gedieh ein gewisser Salonanarchismus, wenn auch meistens ohne Salon. Es war eigentlich mehr ein Kaffeehaus. Die Gäste kamen und gingen. Sie steckten etwas Eßbares in den Mund, die Hände in die Taschen und verurteilten, mit vollem Munde redend, die Regierung. Aber die abwesende Regierung wußte gar nicht, daß sie verurteilt wurde.
Die Regierung war schließlich der Kaiser, der alt, zuletzt uralt war und jede menschliche Entschuldigung für sich in Anspruch nehmen konnte, wenn er verkalkte und versteinte. Immerhin führte er noch im Alter von achtundsiebzig Jahren in Öster reich das Allgemeine Wahlrecht ein, was wir Franz Joseph nicht vergessen wollen. Er hatte einen jahrelangen Kampf zu bestehen, bevor er es gegen den Widerstand seiner noch reaktionäreren Untertanen durchdrückte. Als es schließlich so weit


