BART DES PROPHETEN
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Daß ich, von einem solchen Vorbild verlockt und angeleitet, Schriftsteller werden mußte, scheint mir im Rückblick klar, aber wann wurde ich es? Mit dreizehn, als ich meine ersten stümperhaften Liebesgedichte schrieb; mit neunzehn, als ich meine erste kleine Novelle unter dem ganz ernsthaft gemeinten jugendlichen Titel ,, Letztes Lachen" veröffentlichte? Sie enthält bereits in einer leichten, aber entschiedenen Form die Elemente desjenigen, was der junge Schriftsteller übertreibend sein Talent nennen konnte, dessen Erweckung also, wenn es überhaupt vorhanden war, jener Veröffentlichung vorangegangen sein muß. Wann aber war sie erfolgt? Eine Frage, so müßig und unbeantwortbar wie die Frage, in welchem Bruchteil einer Sekunde das über den Boden hinlaufende Flugzeug zu schweben beginnt. Ungefähr gleichzeitig mit jenem Novellchen hatte ich mein erstes Honorar für eine muntere Dialogszene erhalten, deren lustiger Vorwurf mir noch erinnerlich ist. Ein Zigeuner hat seine treulose Geliebte ermordet. Der Literat tritt an den Komponisten heran und schlägt vor, daraus eine tragische Oper in der Art der ,, Cavalleria rusticana " zu machen. Der Komponist macht Gegenvorschläge, auf die der Textdichter schrittweise eingeht, und im Handumdrehen wird aus dem traurigen Vorfall eine lustige Wiener Operette mit Gesang und Tanz. Das war Theater in der Nußschale, wienerisch vergnügtes Theater, und zusammen mit jenem melancholisch- witzig vorgetragenen, aber im Grunde auch humoristisch gemeinten Geschichtchen vom letzten Lachen, ergibt sich daraus wahrscheinlich alles, was ich in den nächsten vierzig Jahren gemacht habe, ungefähr wie sich aus der chemischen Formel H2O Wasser ergibt. Womit ich gegen Wasser nichts gesagt haben will.
Aber vielleicht war nicht nur die Chemie, auch die Physik im Spiele. In den Jahren, die meiner ,, Erweckung" vorangingen, hatte ich mich in meiner Mansarde über den jugendlich aufstrebenden Baumwipfeln hauptsächlich damit befaßt, einen


