BART DES PROPHETEN
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Geschichte war, von dem das zwanzigste Jahrhundert sich zurückfinden wird müssen zu einem übernationalen Weltbürgertum, wie es der Ansicht des Verfassers dieses Buches entspricht. Aber selbst dann wäre die Antwort, die Herzl antisemitischer Überheblichkeit gab, die einzig richtige, weil einzig würdige gewesen. Was ihm vorschwebte war, das mangelnde Nationalgefühl der Juden durch einen immer vorhandenen Charakterstolz zu ersetzen. Seine Antwort war die des ,, Uriel Acosta ": ,, Ihr dürft mir fluchen, denn ich bin ein Jude!" Und es war eine Antwort zugleich an die Adresse des drohend heraufdämmernden Deutschnationalismus, über dessen Gefahr der Denker wie der Politiker Theodor Herzl sich nicht täuschte. Er schrieb den in seiner entschlossenen Resigniertheit denkwürdigen Satz nieder: ,, Der deutsche Antisemitismus ist ewig: das deutsche Märchen und das deutsche Volkslied sind antisemitisch."
Das freilich wollten die deutschgläubigen Liberalen nicht wahrnehmen, die an das Märchen der Assimilation glaubten. Der Herausgeber der ,, Neuen Freien Presse", die eine Hochburg des weltbürgerlichen jüdischen Intellektualismus war, sagte mir einmal wörtlich: ,, Ich bin nicht pro- jüdisch; ich bin nicht anti- jüdisch: ich bin a- jüdisch." Ein gedanklich einwandfreies Programm, das auch der amerikanischen Auffassung entspricht, deren Durchführbarkeit in Amerika sich freilich noch wird erweisen müssen. In Europa jedenfalls erwies sie sich als undurchführbar, und es bleibt abzuwarten, wie die anderen Weltteile sich dazu stellen werden.
Herzl starb dreiundvierzigjährig, viel zu früh für Mitwelt und Nachwelt, auf die auch der prophetische Feuilletonist und feine Schriftsteller Anspruch hat. Kurz vor seinem Tode stand er in Breslau am Grabe Lassalles, in dem er einen hohen Geistes- und Gesinnungsverwandten grüßte. Auch die Charakterähnlichkeit, obwohl Herzl bessere Manieren hatte, ist unverkennbar. Dieselbe Mischung von ehrgeiziger Romantik, staats


