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gemeinde. Dann aber machte er plötzlich Ernst und halt; und auch das wieder hing mit Paris zusammen. Eines Tages war es Herzls publizistische Pflicht gewesen, die Degradierung des jüdischen Hauptmannes Dreyfus zu beschreiben, der noch, als man ihm die Epauletten vom Leibe riẞ, seine später bewiesene Unschuld beteuerte. Dieses Erlebnis hatte zwei weltgeschichtliche Folgen. Es entsproß ihm der neueuropäische Antisemitismus, aus dem ein Vierteljahrhundert später der Giftbaum des Nazismus erblühte; aber auch die selbstbewußte Abwehr des Judentums, der Zionismus , geht auf diese Menschheitserfahrung zurück. Und Theodor Herzl , ein Idealist von hohen Graden auch in seinen elegant geschriebenen Tagesartikeln, wurde sein Prophet. Noch ehe Dreyfus auf der Teufelsinsel angelangt war, hatte der Zeuge seiner Erniedrigung eine Schrift in die Welt gesendet, in der er das Programm des Zionismus und ,, eine völkerrechtlich gesicherte Wohnstätte für die Juden in Palästina" verlangte.
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Über den Zionismus wäre viel zu sagen, was über den Anlaß dieses Buches hinausgeht. Seine Berechtigung als Gegenbewegung als eine ewige Gegenbewegung ist durch die Schandtaten des Nazismus millionenfach gerechtfertigt worden. Auch seine geschichtliche Folgerichtigkeit steht außer Zweifel. Das neunzehnte Jahrhundert war das Jahrhundert des Nationalismus, wobei sich vom französischen bis zum jüdischen ein Nationalismus aus dem anderen ergab; der jüdische war das letzte Glied in der Kette. Auch ist es kein Wunder, daß diese nationale Protestbewegung in Österreich entsprang, wo ihr die magyarischen, tschechischen, polnischen, südslawischen und italienischen- von den deutschen nicht zu reden Beteuerungen nationaler Unabhängigkeit vorangegangen waren. Wenn also der Nationalismus der Weg der Geschichte war, dann konnte der Bahnbrecher des Zionismus keinen gangbareren wählen. Anders freilich, wenn der Nationalismus nur ein Abweg der
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